Kalt, kälter, Eiszeit

Offenbach, Speyer (epd). Wenige Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine schrieb der Offenbacher Oberbürgermeister Felix Schwenke (SPD) einen Brief an seinen Amtskollegen Juri Parachin in der russischen Provinzhauptstadt Orjol. „Als Stadt Offenbach bauen wir immer auf Dialog anstatt auf Konfrontation“, heißt es darin. An die Verwaltungsspitze der russischen Partnerstadt appellierte Schwenke, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um den Frieden wiederherzustellen und eine weitere Eskalation der Beziehungen zwischen Russland und dem restlichen Europa zu verhindern.

Noch zu Zeiten des Kalten Krieges waren die ersten deutsch-sowjetischen Städtepartnerschaften begründet worden, zum Teil über den Eisernen Vorhang hinweg. Hamburg und Leningrad machten bereits Ende der 1950er den Anfang - nur wenige Jahre nach Stalins Tod, kurz nach dem niedergeschlagenen Aufstand in Ungarn und gegen den erklärten Willen der Adenauer-Regierung. Anfang 2022 bestanden knapp 100 kommunale deutsch-russische, gut 30 deutsch-ukrainische und ein Dutzend deutsch-belarussische Partnerschaften. Der Krieg in der Ukraine stürzt viele Initiativen in eine schwere Krise.

„Das hätten wir uns nie vorstellen können“, klagt Werner Frei vom „Klub Offenbach-Orjol“ über die neue Eiszeit. Nach seiner Einschätzung stößt der Angriff auf die Ukraine in Orjol auf viel Ablehnung, aber ein Teil der bisherigen Projektpartner sei „entweder von der Propaganda vergiftet“ oder habe Angst, sich zu äußern. „Wir wissen, dass das ein Krieg von Putin ist“, sagt Frei.

Im Gegensatz zu Offenbach haben viele Kommunen ihre Partnerschaften aktuell auch offiziell ausgesetzt, darunter Baden-Baden (Sotschi), Heilbronn (Noworossijsk) oder Emden (Archangelsk). Allerdings handelt es sich dabei in den meisten Fällen um reine Symbolik: Denn nennenswerte politische Kontakte hatte es ohnehin kaum noch gegeben.

„Die offiziellen Vorhaben ruhen derzeit, und es werden auch keine neu geplant“, heißt es im Rathaus von Speyer, das an der langjährigen Städtepartnerschaft mit Kursk prinzipiell festhalten will. Coronabedingt seien schon 2021 nur noch Austausche per Telefon und Videocalls möglich gewesen: „Davor gab es regelmäßige Treffen des Freundeskreises sowie Bürgerreisen und weitere gemeinsame Projekte, unter anderem den Weihnachtsmarkt der Partnerstädte.“ Die Verbindung werde seit Jahren vorwiegend durch die freundschaftlichen Kontakte zwischen Bürgerinnen und Bürgern beider Kommunen getragen. In der aktuellen Krise sei es besonders wichtig, „im Gespräch zu bleiben und bestehende Brücken zwischen den Menschen zu pflegen und zu stärken“.

Schon vor der Pandemie, dem Angriff Russlands auf die Ukraine und dem Abbruch fast aller Verkehrs- und Wirtschaftskontakte war es nicht einfach, die einst geknüpften Verbindungen aufrecht zu erhalten. René Wilke (Linke), Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder), beschrieb Anfang März in einem offenen Brief den traurigen Zustand der Partnerschaft mit dem belarussischen Witebsk. „Fakt ist auch, dass die offizielle Ebene aus Witebsk seit langer Zeit nicht mehr mit uns spricht. Keine Reaktion oder Absagen auf Briefe, auf Einladungen, auf Gesprächsangebote“, notierte er. Partnerschaft sei nur möglich, wenn beide Seiten dazu bereit seien. „Seit 4 Jahren hatte ich keinen Kontakt zu offizieller Stelle dort. Und es gab mehrere Versuche.“

Ob der aktuelle Friedenswunsch aus Offenbach Richtung Orjol bei der dortigen Stadtspitze auf offene Ohren stößt, ist ebenfalls zweifelhaft. Bürgermeister Parachin lässt in einem Beitrag im sozialen Netzwerk VK keinen Zweifel, wie er die Lage einschätzt: „Die militärische Spezialoperation ist die Befreiung des russischen Volkes (zu dem ich uns in Russland und die Ukrainer zähle) von den Nationalisten. Von denjenigen, die auf Betreiben des Westens seit acht Jahren die Zivilbevölkerung verhöhnen und Brudervölker aufeinanderhetzen.“ Die Ehrenamtlichen vom Freundesclub Offenbach-Orjol in Hessen konzentrieren sich fürs Erste auf die Hilfe für ukrainische Kriegsflüchtlinge. Ihre Sprachkenntnisse würden gerade mehr denn je benötigt, sagt Werner Frei.