Käßmann: Angebliche Legitimation von Kriegen durch Religion beenden

Lindau (epd). Religionen müssen nach Ansicht der früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, zu Unrecht immer wieder als Begründung für Gewalt, Konflikte und Kriege herhalten. Es sei an der Zeit diese angliche Legitimierung endlich zu beenden, sagte die evangelische Theologin am Montag zum Auftakt eines Kongresses der Bewegung „Religions for Peace“ in Lindau. Es sei ein wichtiger Schritt, „der Welt mitzuteilen“, dass im Namen von Religionen und Glaubenstraditionen „keine Gewalt ausgeübt werden darf“, betonte Käßmann.

Die frühere Hannoversche Landesbischöfin beklagte, dass der interreligiöse Dialog noch immer vor allem „ein Dialog von Menschen in Ämtern und nicht so sehr mit der Jugend“ ist. Man müsse „die Jugend hier stärker mit reinbringen“. Europa sei in Sachen Religionen zudem „wirklich speziell“. Viele junge Menschen seien nicht religiös und könnten nicht viel über Glauben und Religion sagen. „Da brauchen wir einen Dialog, der die Menschen wieder mit Religion in Berührung bringt“, forderte sie. Um sich gegenseitig über die jeweilige Religion zu befragen, seien Schulen „ein passender Ort“.

Der Co-Vorsitzende der Bewegung „Religions for Peace“, Rabbi David Rosen, sagte, es sei natürlich wahr, dass weltweit Kriege und Konflikte im Namen von Religionen ausgetragen werden. „Religions for Peace“ sei aber der Beweis für eine „neue Ära, in der Religionen zusammenarbeiten“. Politiker und Diplomaten kämen und gingen, die religiösen Organisationen aber blieben bestehen. Die Religionen seien sich heutzutage der Tatsache bewusst, dass alle gemeinsam eine „Familie in großartiger Vielfalt“ seien und nicht jede für sich alleine auf einer einsamen Insel existierte, sagte Rosen.

Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, hat die friedensbildende Kraft des religiösen Dialogs betont. „Ich bin fest davon überzeugt, dass die besten Werkzeuge und Wege des friedlichen Umgangs mit der Andersartigkeit anderer Religionen in unseren unterschiedlichen wertvollen religiösen Traditionen bereits angelegt sind“, sagte Heinrich laut Manuskript zum Auftakt eines Kongresses der Bewegung „Religions for Peace“ am Montag in Lindau. An der hybriden Konferenz unter dem Motto „Generationen im Dialog“ nehmen bis Donnerstag mehr als 600 Religionsvertreter, Diplomaten und Experten aus 90 Ländern teil.

Es sei wichtig, in Kontakt zu bleiben, und sich über die in jeder Glaubensgemeinschaft vorhandenen Schätze auszutauschen, sagte Heinrich in der Eröffnungszeremonie. „Die Herausforderungen, vor denen die Welt heutzutage steht, sind enorm und können nur gemeinsam gelöst werden“, betonte sie. Mit Bezug auf das Thema der Tagung sagte Heinrich: „Dialog hat immer das Potenzial zur Veränderung. Und Dialog sollte niemals eine Einbahnstraße sein, weder zwischen religiösen Traditionen noch zwischen Generationen.“

Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, hat mehr internationale Anstrengungen zur Beendigung der vielen bewaffneten Konflikte weltweit verlangt. Diese brächten Leid und Elend, und immer mehr Menschen seien zur Flucht gezwungen, sagte Grandi per Videoschalte am Montag zum Auftakt eines Kongresses der Bewegung „Religions for Peace“ in Lindau.

Viele der mehr als 82 Millionen Menschen auf der Flucht litten in der Covid-19-Pandemie besonders, sagte der Hochkommissar. Sie harrten in voll besetzten Lagern aus, wo sie die notwendigen Abstandsregeln nicht einhalten könnten. Die Menschen auf der Flucht hätten oft nicht den Zugang zu einer Impfung, um sich gegen das Coronavirus zu schützen.

Auch der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, prangerte eine ungleiche Verteilung von Impfstoffen weltweit an. Die Menschen in armen Ländern hätten wie so oft das Nachsehen, sagte er in einem Video.

Tedros ermutigte die Religionsvertreter, weitere internationale Partnerschaften zu knüpfen, um eine sichere und friedliche Welt zu schaffen. Die Religionen spielten in der schwierigen Zeit der Pandemie eine besondere Rolle, da sie leidende Menschen spirituell unterstützten, sagte er.

An der hybriden Konferenz unter dem Motto „Generationen im Dialog“ nehmen bis Donnerstag mehr als 600 Religionsvertreter, Diplomaten und Experten aus 90 Ländern teil - die Mehrheit davon digital. Inhaltlich geht es um die Themenkomplexe „Frieden und Sicherheit“, „Umweltschutz“ und „Humanitäre Arbeit“. In allen drei Bereichen gibt es Impuls-Vorträgen (Keynotes) mit moderierter Diskussion, Eins-zu-Eins-Interviews, „inspirierende Kurzvorträge“ und nichtöffentliche „Diplomacy Roundtables“. An der Tagung nehmen auch Vertreter von UN-Organisationen und dem Internationalen Roten Kreuz teil.

„Religions for Peace“ hat sich 1970 gegründet und setzt sich für weltweiten interreligiösen Dialog ein.