Kämpfen um zu leben

Frankfurt a.M./Yangon (epd). Sie flüchten in den Dschungel, verbergen sich in Höhlen oder versuchen, sich nach Indien und Thailand zu retten: Hunderttausende Menschen in Myanmar wurden in den vergangenen zwölf Monaten vertrieben, nachdem sich das Militär in dem südostasiatischen Land an die Macht geputscht hatte. Vielen von ihnen fehlt es an ausreichend Nahrung, Trinkwasser und medizinischer Versorgung, weil das Militärregime humanitäre Hilfe blockiert. Myanmar ist nicht erst seit dem jüngsten Putsch ein geschundenes Land. Doch nachdem die Armee die „Nationale Liga für Demokratie“ (NLD) unter Aung San Suu Kyi am 1. Februar 2021 gestürzt hat, versinkt der Vielvölkerstaat im Chaos.

Die ethnischen Minderheiten müssen teils schon seit Jahrzehnten Gewalt erdulden, weil die Militärs auch in der Vergangenheit immer wieder Abkommen zu Waffenruhen brachen. Doch nun sprechen Aktivistinnen und Aktivisten der Karen-Minderheit von einer „täglich zunehmenden Militarisierung“. Weil die Truppen des Regimes unfähig seien, die Kämpfer der „Karen National Liberation Army“ zurückzuschlagen, werde zunehmend die Zivilbevölkerung in dem Karen-Bundesstaat terrorisiert.

Die Bewohnerinnen und Bewohner des östlichen, an der Grenze zu Thailand gelegenen Bundesstaates werden laut der Aktivistengruppe „Karen Peace Support Network“ (KPSN) als „kollektive Bestrafung“ willkürlich verhaftet oder als menschliche Schutzschilde missbraucht. Auch ihr Eigentum werde geplündert oder zerstört. Luftangriffe erfolgten „vorsätzlich und willkürlich“, die Folge seien Tote und Verletzte, kritisiert KPSN-Direktorin Wahkushee Tenner. Allein im Mutraw-Distrikt im nördlichen Teil des Karen-Staates wurden laut Angaben der KPSN aus dem November 82.220 Bewohner vertrieben - fast die gesamte ländliche Bevölkerung.

Doch mit ihrem Terror überzieht die Junta längst das ganze Land. Seit dem Putsch registrierten die UN etwa 406.000 intern Vertriebene - zusätzlich zu jenen 370.000 Binnenvertriebenen, die bereits davor aufgrund von Konflikten innerhalb Myanmars flüchten mussten. Unter den Flüchtlingen des vergangenen Jahres waren laut der Hilfsorganisation „Save the Children“ mehr als 150.000 Mädchen und Jungen.

Für die Putschisten unter Diktator Min Aung Hlaing waren die Straßenproteste und Streiks der „Bewegung des zivilen Ungehorsams“ ein Anlass, immer brutaler gegen friedlich Demonstrierende vorzugehen. Laut der Gefangenen-Hilfsorganisation AAPP wurden bis zum 26. Januar mindestens 1.494 Menschen bei Protesten ermordet und mehr als 11.700 weitere verhaftet. Für die Gewalt im Land sind nach Berichten lokaler Medien unter anderem Soldaten einer Infanterie-Division verantwortlich, die im August 2017 an der brutalen Offensive gegen die muslimischen Rohingya beteiligt war.

Während viele Menschen weiter friedlich und in kleineren Gruppen gegen das Regime aufbegehren, wollten andere Oppositionelle nicht zusehen, wie das Regime Zivilisten massakriert. Vor allem junge Leute entschieden sich für den bewaffneten Kampf und ließen sie sich zum Beispiel von Rebellen der Karen im Osten oder den Kachin im Norden ausbilden. Längst haben sich landesweit immer mehr lokale Widerstandsgruppen formiert. Manche von ihnen kämpfen gemeinsam mit alteingesessenen Rebellenorganisationen der ethnischen Minderheiten, andere auf sich selbst gestellt.

Für die Junta machen die Guerilla-Taktiken dieser „Volksverteidigungskräfte“ eine weitere Front auf. Die Bandbreite des Widerstands reicht laut der „International Crisis Group“ von „spontan organisierten ländlichen Milizen, die Soldaten überfallen, bis hin zu städtischen Untergrundnetzwerken, die Repräsentanten und Büros der Junta attackieren“. Die auf Konflikte spezialisierte Denkfabrik sieht Myanmar vor einer wohl langwierigen Phase zunehmender Konflikte. Dabei gewinne die oppositionelle Bewegung trotz einiger Probleme allmählich an Stärke.

Für den Journalisten Aung Zaw steht fest, dass die Junta ihre Machtposition nach dem Umsturz nicht festigen konnte. „Die Opposition gegen den Putsch, einschließlich des bewaffneten Widerstands, bleibt erbittert und dürfte sich 2022 noch verstärken“, kommentierte der Gründer und Chefredakteur des regimekritischen Magazins „Irrawaddy“. Protestierende bekräftigen, ihr Widerstand sei eine Entscheidung über Leben oder Tod: „Wenn wir Angst haben, dieses Mal für diese Sache zu sterben und nichts gegen die Militärdiktatur unternehmen, wird unser Leben für immer tot sein. Das Leben unserer neuen Generationen wird ebenfalls tot sein.“