Jugendoffizier: Das Schülerinteresse an der Bundeswehr steigt

Wie werden Bundeswehr-Einsätze legitimiert? Wie sieht es in einem Feldlager aus? Um solche Fragen geht es, wenn Hauptmann Farbacher vorträgt. Mit persönlichen Einblicken fesselt er die Schüler, muss sich aber auch kritischen Fragen stellen.

Göttingen (epd). In Sachen Nato muss Hauptmann Frank Farbacher bei den Schülern offenbar kaum jemanden überzeugen. In einem Vier-Ecken-Spiel stimmt die große Mehrheit der Aussage zu, dass das nordatlantische Bündnis unerlässlich sei für Deutschlands Sicherheit. Der Rest positioniert sich bei der Aussage „Wir Europäer müssen mehr in unsere Sicherheit investieren“. Auch die Frage, wer mit Blick auf Russland ein „Unsicherheitsgefühl“ habe, bejahen fast alle.

Das Spiel steht am Beginn einer Doppelstunde des Leistungskurses Politik-Wirtschaft der 13. Jahrgangsstufe des Otto-Hahn-Gymnasiums in Göttingen, die auf Einladung der Lehrerin heute von Farbacher gestaltet wird. Als sogenannter Jugendoffizier informiert der 41-Jährige regelmäßig Bürgerinnen und Bürger in Südniedersachsen zum Thema Sicherheitspolitik und Bundeswehr, meistens an Schulen, aber auch in Vereinen, Parteiorganisationen und auf Messen. Um Nachwuchswerbung geht es dabei nicht, wie er sagt, sondern um Transparenz und Rechenschaft vor dem Steuerzahler.

Farbacher bietet den Jugendlichen gleich das Du an. Er wirkt freundlich und offen und lässt viel Raum für Nachfragen. Im Verlauf der Stunde gibt er viele persönliche Einblicke in seinen Werdegang und seinen viermonatigen Kosovo-Einsatz im Jahr 2012. Das übergeordnete Thema ist der Daseinszweck der Nato und wie es unter ihrer Leitung zur KFOR-Mission im Kosovo kam.

Anhand drastischer Beispiele schildert der Hauptmann, wie sich die Konflikte im ehemaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien in den 1990er Jahren zuspitzten. Es geht um ethnische Säuberungen, Straßenblockaden und Brandanschläge. Die Präsentation zeigt eine Straßenszene in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo während der Belagerung. „Pazi Snaijper“ (Vorsicht Scharfschützen) warnt ein Schild Passanten vor den serbischen Heckenschützen, die wahllos auf die Zivilbevölkerung der Stadt schossen. Die Schüler schweigen gebannt.

Als die serbischen Truppen immer mehr Gebiete eroberten, konnten die UN-Friedenstruppen mangels Mandat nicht intervenieren. Das habe die serbischen Einheiten bestärkt, immer weiter vorzurücken. Farbacher vergleicht die Situation mit dem russischen Überfall auf die Ukraine. „Wenn keine Gegenreaktion erfolgt, geht's halt immer so weiter.“ Es sei daher richtig gewesen, dass die Nato 1999 einschritt.

Einen Schüler treibt um, dass bei Nato-Luftangriffen gegen serbische Ziele auch Zivilisten getötet wurden. „Wie gehst du damit um? Sind das Kollateralschäden?“ Der Jugendoffizier antwortet: „Militärisches Handeln kann zivile Opfer in Kauf nehmen, wenn der militärische Zweck das rechtfertigt.“ Der Schüler schaut skeptisch.

Später zeigt Farbacher einen Film darüber, wie deutsche Soldaten eine von serbischen Zivilisten errichtete Straßensperre räumen. Die Stimmung ist aufgeheizt, die serbischen Demonstranten sind in der Überzahl. „Was gibt der Bundeswehr die Befugnis zu schießen?“, fragt ein Schüler. Es gelte das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, zunächst müsse man solange wie möglich deeskalieren, führt Farbacher aus.

Der Hauptmann freut sich über die Fragen. Nicht nur im Otto-Hahn-Gymnasium, auch sonst nähmen die Schüler das Informationsangebot fast immer positiv auf, sagt Farbacher am Rande der Schulstunde. Nur vereinzelt brächten Schüler auch mal ihre Ablehnung zum Ausdruck. Seit dem Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 nimmt er ein steigendes Interesse an der Arbeit der Bundeswehr wahr.

Tatsächlich hat sich die Zahl der Auftritte von Jugendoffizieren in niedersächsischen Schulen seit dem Beginn des Ukrainekriegs verdoppelt. Sie stieg nach Angaben des Kultusministeriums von durchschnittlich 250 Besuchen im Jahr von 2017 bis 2021 auf mehr als 500 in den Jahren 2022 und 2023.

Der Konflikt im Kosovo schwelt bis heute weiter und die KFOR-Mission dauert an. Doch viel mehr beschäftigt die Jugendlichen das Leid der Menschen in Gaza. Der US-Friedensplan für Gaza sollte erst wenige Tage später vorgestellt werden. Ob Deutschland oder Europa nicht militärisch intervenieren könne, um Zivilisten zu schützen, fragen die Schüler mehrmals. Vor einem Militäreinsatz stelle sich immer die Frage „Erreicht man damit etwas oder befördert man eine Gewaltspirale?“, gibt Farbacher zu bedenken. Militärische Gewalt dürfe immer nur das äußerste Mittel sein.

Hintergrund: Jugendoffiziere

Jugendoffiziere, auch Referenten für Sicherheitspolitik genannt, sind speziell ausgebildete Soldatinnen und Soldaten, die den Auftrag haben, über die Arbeit der Bundeswehr zu informieren. Ziel ist es, jungen Menschen ein Verständnis für die Rolle der Bundeswehr, internationale Sicherheit und außenpolitische Zusammenhänge zu vermitteln. Sie treten vor allem in Schulen, Universitäten und Jugendorganisationen auf, wo sie Unterrichtsstunden gestalten und Diskussionen anbieten.

Eingeführt wurden die Jugendoffiziere im Jahr 1958, um die Akzeptanz für die Wiederbewaffnung Deutschlands nach dem Nato-Beitritt der Bundesrepublik zu fördern. Das Werben um Nachwuchskräfte steht nach Angaben der Bundeswehr dabei nicht im Fokus. Vielmehr sollen sich die Jugendoffiziere in die demokratische Willensbildung einbringen und auch mit Kritik auseinandersetzen. Eine mehrjährige Ausbildung inklusive Hochschulstudium bereitet die Jugendoffiziere auf ihre Rolle vor.

Acht Bundesländer haben bisher Kooperationsvereinbarungen für die Zusammenarbeit von Bundeswehr und Schulen geschlossen. Einer der größten Kritiker der Besuche von Jugendoffizieren in Schulen ist die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie fordert, den Einfluss der Bundeswehr an Schulen zurückdrängen und Friedensinitiativen die gleichen Möglichkeiten wie der Bundeswehr einzuräumen, ihre Konzepte zu erläutern.