Humanitäre Hilfe aus der Luft: Die letzte Möglichkeit

Die Bundeswehr wirft Lebensmittel über dem Gaza-Streifen ab. Die umstrittene Methode ist kostspielig, für die Not leidenden Menschen aber überlebenswichtig.

Genf (epd). Im Gaza-Streifen sind unterernährte Kinder bereits gestorben. Die Chefin des Welternährungsprogramms Cindy McCain warnt, dass eine Hungersnot in dem Gebiet „unmittelbar bevorsteht“. Eine Katastrophe könne nur vermieden werden, wenn die humanitäre Versorgung dort „exponentiell“ zunimmt.

Weil Israel den schmalen Streifen abgeriegelt hat, werfen Deutschland, die USA und andere Staaten nun Lebensmittel und weitere Hilfsgüter für die rund 2,2 Millionen Einwohner aus der Luft ab. „Die erste Lieferung unter anderem mit Reis und Mehl ist am Samstag aus einem C-130-Transportflugzeuge Hercules an Fallschirmen über dem Norden des Palästinensergebietes abgesetzt worden“, teilte die Bundeswehr am Samstag mit.

Hilfsorganisationen und Militärs werfen seit Jahrzehnten in Krisenregionen humanitäre Güter ab. Doch das Welternährungsprogramm betont, es greife zu solchen Abwürfen „nur als letzte Möglichkeit“. Empfänger der Hilfe sollen Menschen sein, die auf dem Land- oder Seeweg nicht erreichbar sind. Sie harren hinter den Frontlinien oder in abgeriegelten Regionen aus. Auch extreme Wetterereignisse können dafür sorgen, dass Menschen von der Außenwelt abgeschnitten sind.

Während des Bürgerkriegs in Syrien kam das Welternährungsprogramm der UN den Menschen in der belagerten und umkämpften Stadt Deir-Ezzor aus der Luft zu Hilfe. In den Jahren 2016 und 2017 warf das WFP mehr als 300 Mal Hilfsgüter aus Flugzeugen ab. „So konnten die Menschen in Deir-Ezzor durchhalten und hoffen“, sagte die damalige Einwohnerin, Rania Sarraj, die sich später dem WFP anschloss. „Ohne die Luftabwürfe des WFP wären wir gestorben.“

Doch die Abwürfe sind umstritten. Der frühere UN-Nothilfekoordinator und heutige Generalsekretär des Norwegischen Flüchtlingsrates (NRC), Jan Egeland, sagt, sie seien „teuer und chaotisch“. Das WFP kalkuliert, dass die Kosten für Abwürfe den Preis für entsprechende Lieferungen auf der Straße um das Siebenfache übersteigen. Vor allem die Flugkosten, etwa für Treibstoff, schlagen zu Buche. Zudem bringen die Flugzeuge nur verhältnismäßig kleine Mengen zu den Bedürftigen.

„Für die Bereitstellung von Hilfsgütern in großem Umfang gibt es keinen sinnvollen Ersatz für die vielen Landwege und Zugangsstellen von Israel nach Gaza“, sagt Sigrid Kaag, die UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe und Wiederaufbau in Gaza. Vor der Abriegelung des Gaza-Streifens, mit der Israel auf den Anschlag der Hamas vom 7. Oktober reagierte, erreichten das kleine Gebiet täglich rund 500 Lastwagen mit Hilfsgütern.

Ein weiteres Problem der Abwürfe ist, dass sie nicht selten eine Gefahr für die Menschen darstellen, deren Not sie eigentlich lindern sollen. Wenn die Fallschirme sich nicht öffnen, rauschen die Paletten mit hohem Tempo zu Boden und können Menschen treffen. Im Gaza-Streifen starben auf diese Weise am 8. März Medienberichten zufolge fünf Menschen und weitere wurden verletzt. Starke Winde, Sandstürme und andere widrige Wetterbedingungen beeinträchtigen zudem laut WFP die Genauigkeit der Abwürfe und „gefährden den Erfolg und die Sicherheit der Operationen“. Weiter müssen die Piloten in Konfliktregionen mit Beschuss durch Flugabwehrkanonen oder Raketen rechnen.

Landen die Hilfsgüter an den gewünschten Orten warten neue Schwierigkeiten: Wer übernimmt die gerechte Verteilung der dringend benötigten Hilfsgüter? Wer stellt sicher, dass die Waren nicht in die falschen Hände geraten? Im Gaza-Streifen etwa soll den Zivilisten die Hilfe zugutekommen und nicht den Hamas-Milizen und anderen Extremisten.

Der erste Abwurf von humanitärer Nothilfe aus der Luft für das UN-System fand im August 1973 statt. Das WFP leitete die Operation, mehr als 30 Frachtflugzeuge von zwölf nationalen Streitkräften schmissen Hilfsgüter in der westlichen Sahelzone Afrikas ab. Sechs Jahre Dürre und Trockenheit hatten den Menschen im Tschad, in Mali, Mauretanien, Niger, Senegal und im damaligen Obervolta, heute Burkina Faso, zugesetzt. Die Unterstützung aus der Luft dauerte damals drei Jahre. Die Versorgung aus der Luft für die Bevölkerung des Gaza-Streifens hingegen ist gerade erst angelaufen.