Friedenspfarrer: "Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung umsetzen"

Speyer/Mannheim (epd). Der Vorsitzende des Europäischen Büros für Kriegsdienstverweigerung (EBCO) in Brüssel, Friedhelm Schneider, hat die Staaten in Europa aufgefordert, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung umzusetzen. Es sei skandalös, dass Mitgliedsstaaten des Europarats dieses Menschenrecht völkerrechtswidrig und dauerhaft verletzten, ohne Sanktionen befürchten zu müssen, sagte der frühere pfälzische Friedenspfarrer in einem epd-Gespräch. 

Die Glaubwürdigkeit der internationalen Menschenrechtsinstitutionen werde massiv beschädigt, wenn ihre Entschließungen und Urteile nicht umgesetzt würden. Im Jahr 2016 sei die Menschenrechtssituation von Kriegsdienstverweigerern in Europa insgesamt "durch Stagnation statt Fortschritt" gekennzeichnet gewesen, auch bestehe die Gefahr, dass sie sich rückwärts entwickele.

Als Negativbeispiele nannte Schneider, der die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) in der Menschenrechtsorganisation vertritt, die besonders kritische Lage in der Türkei und in Griechenland. Die türkische Regierung missachte seit mehr als zehn Jahren ein wegweisendes Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs. Dieses hatte 2006 das Land dazu verpflichtet, das Recht, den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern, gesetzlich zu regeln. 

Mit Blick auf das EU-Land Griechenland hätten drei internationale Menschenrechtsinstitutionen auf schwerwiegende Verletzungen dieses Grundrechts hingewiesen. Die Regierung in Athen bleibe trotz Abmahnungen durch den UN-Menschenrechtsrat, den UN-Menschenrechtsausschuss und den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof untätig.

Nach wie vor erzeuge das System der Wehrpflicht die meisten Probleme, denen Kriegsdienstverweigerer ausgesetzt seien, sagte Schneider, der die Arbeitsstelle Frieden und Umwelt der pfälzischen Landeskirche 32 Jahre lang leitete und in Mannheim lebt. Bei der langjährigen Tendenz, die Wehrpflicht abzuschaffen oder auszusetzen, scheine sich eine Trendwende abzuzeichnen. Menschenrechtsorganisationen müssten europaweit auch zukünftig das individuelle Recht auf Kriegsdienstverweigerung bei nationalen Regierungen einfordern und dabei "einen langen Atem" haben.

Seit dem Ende der Wehrpflicht in Deutschland im Jahr 2011 hätten bis Mitte 2016 rund 1.600 Berufssoldaten ihren Waffendienst verweigert, informierte Schneider. Die anfänglich hohe Anerkennungsquote sei merklich zurückgegangen. Zudem kritisierte er, dass im Zusammenhang mit zunehmenden weltweiten Bundeswehreinsätzen auch vermehrt unter 18-Jährige mit elterlicher Zustimmung für den Soldatenberuf rekrutiert würden.

Bedenklich sei zudem eine unberechenbare Situation für Kriegsdienstverweigerer im Asylverfahren, sagte Schneider. Vor Verfolgung geflohene Kriegsdienstverweigerer würden anerkannt oder abgelehnt, je nachdem in welchem europäischen Staat sie ihren Asylantrag eingereicht hätten. Einer von wenigen Lichtblicken des Jahres 2016 sei die Haftentlassung des ukrainischen Kriegsdienstverweigerers Ruslan Kotsaba. Dieser hatte seine Mitbürger dazu aufgerufen, sich dem Brudermord im Ukraine-Konflikt zu verweigern. Auch in Ägypten kümmere sich das EBCO um eine Gruppe von Kriegsdienstverweigerern, denen massive Repressionen drohten, sagte Schneider.

Zum EBCO gehören mehr als 20 Friedensinitiativen aus ganz Europa, darunter aus Deutschland neben der EAK mit Sitz in Bonn auch die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner. In der EAK sind Menschen, Initiativen und Verbände aus den evangelischen Landeskirchen und Freikirchen zusammengeschlossen, die sich für Kriegsdienstverweigerung und Friedensarbeit einsetzen.

Info:
Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) hat anlässlich ihres 60-jähigen Bestehens ein neues Buch "Friede sei!" mit Fotos und Texten von Pfarrer Friedhelm Schneider veröffentlicht. Das 90-seitige Buch will zum Nachdenken über den wichtigen Stellenwert internationaler Friedensarbeit anregen und Impulse für Friedensaktivitäten vor Ort geben. Es kann in der Geschäftsstelle der EAK, Endenicher Straße 41, 53115 Bonn, gegen eine Spende bestellt werden.