Friedensnobelpreis für die japanische Organisation Nihon Hidankyo
Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr nach Japan. Mit Nihon Hidankyo wird ein Zusammenschluss von Überlebenden der Atomwaffenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki geehrt. Das Nobelkomitee rückt die Wahl auch ins Licht neuer atomarer Drohungen.
Frankfurt a.M./Oslo (epd). Mit dem Friedensnobelpreis wird in diesem Jahr ein Zusammenschluss von Überlebenden des Atombombenabwurfs über Hiroshima und Nagasaki geehrt. Die japanische Organisation Nihon Hidankyo erhält die international renommierte Auszeichnung für ihre Bemühungen um eine atomwaffenfreie Welt, wie das Norwegische Nobelkomitee am Freitag in Oslo mitteilte. Die Wahl ist auch ein Zeichen gegen nukleare Drohungen in Kriegen und Konflikten heutzutage.
Mit dem Erzählen persönlicher Geschichten und Aufklärungskampagnen hätten die Überlebenden in Japan, die sogenannten Hibakusha, zur Bildung einer breiten Opposition gegen Nuklearwaffen beigetragen, sagte der Vorsitzende des Nobelkomitees, Jorgen Watne Frydnes.
Frydnes verwies zudem auf das Engagement der Überlebenden gegen den Einsatz von Nuklearwaffen. Schließlich habe sich mit dem „nuklearen Tabu“ international die Norm durchgesetzt, dass ihr Einsatz moralisch nicht zu akzeptieren sei, sagte Frydnes und betonte: „Die Hibakusha helfen uns, das Unbeschreibliche zu beschreiben, das Undenkbare zu denken und den und den von Atomwaffen verursachten unvorstellbaren Schmerz und das Leid irgendwie zu begreifen.“
Die Ursprünge der Organisation reichen in das Jahr 1956 zurück. Damals haben sich laut Nobelkomitee lokale Vereinigungen Überlebender aus Hiroshima und Nagasaki mit Opfern von Atomwaffentests im Pazifik zu einer landesweiten Konföderation zusammengeschlossen. Über die Zeit sei Nihon Hidankyo die einflussreichste und größte Organisation Überlebender in Japan geworden.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) begrüßte die Wahl. „Die bewegenden Zeugnisse und unermüdliche Erinnerungsarbeit der Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki mahnen uns, dass wir alles daransetzen müssen, die Bedingungen für eine Welt ohne Nuklearwaffen zu schaffen“, schrieb Scholz auf der Internetplattform X.
UN-Generalsekretär António Guterres sagte, die unermüdliche Arbeit und das Durchhaltevermögen der Überlebenden der US-Bombenabwürfe von 1945 seien das Rückgrat der globalen nuklearen Abrüstungsbewegung.
Die Abwürfe über Hiroshima und Nagasaki zum Ende des Zweiten Weltkrieges waren die bisher einzigen Atomwaffeneinsätze in einem Krieg. Nach Angaben des Nobelkomitees wurden 120.000 Menschen sofort getötet. Eine ähnliche Zahl an Menschen starb in den folgenden Monaten und Jahren an Verbrennungen und Strahlenschäden.
Frydnes begründete die Wahl auch mit Blick auf gegenwärtige Konflikte und Kriege. Es gebe wieder Drohungen, Nuklearwaffen einzusetzen, sagte er, ohne auf einzelne Länder einzugehen. Dabei hätten sie heute eine noch größere zerstörerische Kraft, warnte der Vorsitzende des Nobelkomitees und unterstrich: „Ein Atomkrieg könnte unsere Zivilisation zerstören.“
Der Vorsitzende der Organisation, Toshiyuki Mimaki, forderte nach der Bekanntgabe die Abschaffung aller Atomwaffen. Manche argumentierten, dass die Welt mit ihnen sicherer sei, sagte er laut dem japanischen Sender Nippon TV in Hiroshima. Aber es gebe immer die Gefahr terroristischer Angriffe - und ganze Regionen könnten durch Nuklearwaffen immensen Schaden erleiden. Politiker müssten das verstehen, sagte er.
Unter Fachleuten stieß die Wahl auf Zustimmung. Die Auszeichnung lenke die Aufmerksamkeit auf die gegenwärtigen Gefahren, aber auch auf die Tatsache, dass in den vergangenen 80 Jahren keine Atomwaffen eingesetzt worden seien, sagte der Direktor des Friedensforschungsinstituts Sipri, Dan Smith.
Der mit elf Millionen Schwedischen Kronen (rund 967.000 Euro) dotierte Friedensnobelpreis gilt als die weltweit wichtigste Auszeichnung für Verdienste um Abrüstung, Friedenssicherung und Menschenrechte. Die Verleihung findet jedes Jahr am Todestag Nobels, dem 10. Dezember, statt. Es wurden bereits Personen und Organisationen wegen ihres Engagements gegen Atomwaffen geehrt, 1962 etwa der US-amerikanische Chemiker Linus Pauling. 2017 erhielt die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) den Preis.
Hintergrund: Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki
Der Atompilz von Hiroshima ist zum Symbol für den nuklearen Schrecken geworden. Am Morgen des 6. August 1945 wirft ein US-Bomber über der Stadt in Japan eine Waffe ab, die eine bis dahin nie erlebte Vernichtungskraft aufweist: die mehr als vier Tonnen schwere Atombombe „Little Boy“. US-Präsident Harry Truman hatte im Juli 1945 angeordnet, die apokalyptische Massenvernichtungswaffe einzusetzen.
Nach dem Abwurf sind Zehntausende Menschen sofort tot. Sie sterben in den Trümmern zusammenstürzender Gebäude oder verbrennen in Sekundenschnelle im Feuerball, der noch am Boden Temperaturen von 6.000 Grad Celsius erreicht. 80 Prozent der überwiegend aus Holz gebauten Häuser Hiroshimas sind zerstört, der Atompilz steigt 13 Kilometer hoch in die Atmosphäre. Wer die Explosion überlebt, hat oft schwere Verbrennungen erlitten.
Nach einigen Tagen beginnt die Strahlenkrankheit: Die Opfer erbrechen sich, haben Durchfall, bluten aus Mund und Nase und leiden unter Geschwüren. In den Wochen und Monaten nach dem Angriff sterben qualvoll noch einmal 70.000 bis 100.000 Menschen. Im Oktober 1945 verbietet die US-Besatzung zunächst alle Fotografien und Filmaufnahmen von Hiroshima, damit das Ausmaß der Zerstörung nicht öffentlich wird.
Am 9. August explodiert eine weitere US-Atombombe über Nagasaki. Schätzungsweise 120.000 Einwohner von Hiroshima und Nagasaki sterben laut dem Nobelkomitee sofort. Eine vergleichbare Zahl an Menschen stirbt in den folgenden Monaten und Jahren an Verbrennungen und Strahlenschäden. Die Strahlenschäden sind bei Überlebenden bis ins hohe Lebensalter nachweisbar, stellen die „Internationalen Ärzte zur Verhütung eines Atomkriegs“ fest. Etliche Überlebende erkrankten an Krebs.
Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri gibt an, dass derzeit mehr als 12.100 nukleare Sprengköpfe in den Arsenalen der neun Atommächte lagern. Diese Staaten modernisieren ihre Atomwaffen fortwährend - und Russland droht offen mit ihrem Einsatz. 2017 beschlossen die Vereinten Nationen einen weitreichenden Atomwaffenverbotsvertrag, der 2021 in Kraft getreten ist. Die neun Atommächte erkennen den Vertrag nicht an.