Friedensforscher: Deutschland soll mehr internationale Verantwortung übernehmen

Berlin/Göttingen (epd). Angesichts einer Vielzahl bewaffneter Konflikte fordern führende Friedens- und Konfliktforscher eine Debatte über die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Terrorismusbekämpfung dürfe keine vorschnelle Begründung für Bundeswehrseinsätze oder die Bewaffnung nichtstaatlicher Gewaltakteure sein, sagte Janet Kursawe vom Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen am Dienstag in Berlin. Auch Waffenlieferungen an Konfliktparteien seien nicht geeignet, um Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern. Kursawe äußerte sich anlässlich der Vorstellung des Friedensgutachtens 2015. Darin sprechen sich die Autoren für eine präventive Außenpolitik Deutschlands aus, die zivile Krisenprävention, Demokratieförderung und Entwicklungshilfe beinhalten soll. Zudem appellieren sie an die Bundesregierung, Rüstungsexporte an Drittstaaten, also außerhalb der Nato und der EU, zu verbieten. Mit Blick auf die Gräueltaten des "Islamischen Staates" (IS) im Irak oder in Syrien, fordern die Autoren mehr Hilfen für die Terroropfer. Zum Schutz von Zivilisten könnten Schutzzonen bei einer humanitären Intervention erwogen werden. Zudem müsste man Flüchtlinge per Luftbrücke ausfliegen können. Die Wissenschaftler schließen Kontakte zum IS nicht aus. "Im Notfall muss man mit dem Teufel sprechen", sagte Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg. Diplomatische Beziehungen seien damit aber nicht gemeint. Generell sollte sich der Westen im Nahen und Mittleren Osten stärker zurückhalten, aber nicht heraushalten, sagte Kursawe. Die Unterstützung der kurdischen Milizen im Irak hält sie für "fragwürdig". Deutschland hatte im Herbst 2014 beschlossen, Waffen an die Peschmerga im Nordirak im Kampf gegen den IS zu liefern. Der Preis dafür sei das Risiko einer unkontrollierten Weiterverbreitung der gelieferten Waffen, sagte Kursawe. Der Schriftsteller Navid Kermani forderte unterdessen mehr militärischen Einsatz des Westens gegen den IS. Die Luftangriffe der internationalen Allianz reichten gerade aus, "um halbwegs den IS einzudämmen", jedoch nicht um die Gebiete zurückzuerobern, die der IS in seine Gewalt gebracht hat, sagte der deutsch-iranische Autor im Deutschlandradio Kultur. Offenbar sei die Öffentlichkeit nicht bereit, sich daran zu gewöhnen, "dass man ab und zu auch militärisch eingreifen muss, wenn man Völkermorde, Vertreibung, ethnische Säuberung verhindern will", sagte Kermani. Die Gesellschaft für bedrohte Völker sprach sich mit Blick auf den IS-Terror für mehr Hilfen für die verfolgten religiösen Minderheiten im Nahen Osten aus. Dem Völkermord an Jesiden und orientalischen Christen im Nordirak und in Syrien dürfe nicht tatenlos zugesehen werden, erklärten die Menschenrechtler in Göttingen. Die Friendensforscher forderten außerdem die Bundesregierung auf, sich für eine "menschenwürdige Flüchtlingspolitik an Europas Außengrenzen" einzusetzen. "Dort lassen die europäischen Staaten Schutzsuchende faktisch ertrinken", hieß es. Es müssten legale und sichere Reisewege geschaffen werden, anstatt die Schlepper mit militärischer Gewalt zu bekämpfen. Das Friedensgutachten ist eine Stellungnahme von fünf deutschen Friedens- und Konfliktforschungsinstituten. Beteiligt waren das Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen, das Bonn International Center for Conversion (BICC), die Forschungsstätte der evangelischen Studiengemeinschaft, das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg und die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.