Frauen und Kinder in Frankfurt: Hotel Ukraine

Ein Frankfurter Unternehmen mietete nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ein ganzes Hotel für Flüchtlinge. Nun läuft das Projekt aus.

Frankfurt a.M. (epd). Plakate mit bunten kyrillischen Buchstaben hängen im Eingangsbereich des Hotels Dormero in Frankfurt am Main. Ein grauer Quader unweit der Messe, in der Nähe rauscht die S-Bahn vorbei. Der Parkplatz nebenan ist voller Autos mit ukrainischen Kennzeichen. Seit einem Jahr besteht die Gästeschaft des Hotels ausschließlich aus Frauen und Kindern, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind.

„Das sind Umzugslisten“, erklärt Annette Gümbel die Bedeutung der Plakate. Die Frauen, die noch hier wohnen, organisieren damit ihre bevorstehenden Auszüge. Wer wann einen zur Verfügung stehenden Kleinbus nutzen darf, um ihre Sachen zu transportieren zum Beispiel.

Gümbel ist Geschäftsführerin der KiWIS-Stiftung des in Frankfurt ansässigen Dienstleistungs-Unternehmens WISAG. Die Firma verwaltet etwa Gebäude, fertigt Passagiere am Frankfurter Flughafen ab oder bietet industrienahe Dienstleistungen an wie Sicherheits- oder Cateringdienste. Sie hat das gesamte Hotel gemietet, um hier ukrainische Frauen und Kinder unterzubringen. Für ein Jahr, so der Plan, sollte das Hotel Dormero zum „WISAG-Haus“ werden. Mitte März geht das Projekt zu Ende. Nicht alle Frauen haben eine Wohnung gefunden, sie ziehen nun in Gemeinschaftsunterkünfte.

Gümbel berichtet, das Haus sei vor einem Jahr ohnehin weitgehend leer gewesen, weil der Messebetrieb wegen Corona ruhte. Nach der Zusage des Hotelbetreibers sei es schnell gegangen: „Innerhalb von zwei Tagen waren die 140 Zimmer belegt.“ 350 Frauen und Kinder wohnen Gümbels Angaben zufolge derzeit noch darin. Insgesamt hätten in dem Jahr mehr als 600 Menschen hier gewohnt, die Umzüge in eigene Wohnungen und Rückkehrerinnen in die Ukraine einberechnet. Sieben Kinder von Frauen aus dem Hotel seien in dieser Zeit zur Welt gekommen.

Eine dieser Geburten war die des kleinen Bogdan. Jetzt sitzt er neben seiner Mama Iana Dianova am Tisch und stopft sich mit Appetit Karotten und Blumenkohl ins Mündchen. Dianova ist Zahnärztin aus Odessa. Sie ist in der Republik Moldau geboren, ihr Mann arbeitet dort, er ist Moldauer. Beide haben noch eine siebenjährige Tochter. „Wir waren ein Mal zu Besuch in Moldau, und mein Mann war ein paar Mal hier“, erzählt Dianova. Da habe er seine Tochter sehen und seinen Sohn kennenlernen können.

Nicole Scherer ist „Mädchen für alles“, wie sie sagt. Sie leitet den Alltag im WISAG-Haus, gehört allerdings nicht zum Unternehmen, sondern zum Deutschen Roten Kreuz als paritätischem Partner der WISAG. Sie hat Erfahrung in der Leitung von Flüchtlingsheimen, die Stadt Frankfurt am Main finanziert ihre Stelle hier. Das sei der einzige finanzielle Zuschuss zu dem Projekt, sagt Gümbel, den Rest bezahle die WISAG selbst, bislang etwa vier Millionen Euro.

Das Unternehmen nutzt Gümbels Worten zufolge seine verschiedenen Sparten im Haus. Es stelle beispielsweise die Security oder die Essensversorgung. Auch Ehrenamtliche helfen hier, teils von der KiWIS-Stiftung, teils aus dem Stadtteil. Zu Beginn habe sich eine Psychologin freiwillig um die Frauen gekümmert, eine Hebamme um die werdenden Mütter. Und die Ukrainerinnen packen selbst mit an, etwa bei der Essensausgabe oder bei der Kinderbetreuung. „Rumsitzen ist für sie das Schlimmste“, beschreibt Gümbel, „viele haben gefragt, was sie tun können.“

Vereinzelt hätten sich fremde Männer Zutritt zum Hotel verschaffen wollen, berichtet Scherer: „In den Anfangstagen hatten wir hier dicke Autos vor der Tür, aus denen gut gekleidete, russischsprachige Männer gestiegen sind und versucht haben, Kontakte zu den Frauen hier zu knüpfen.“ Was diese Männer genau wollten, wisse sie nicht, aber der Verdacht liege nahe, dass sie Frauen für die Prostitution gesucht hätten, sagt Scherer. „Da war es schon gut, dass wir die Security hier haben.“

Olena Menchynska wohnt bereits seit August in einer eigenen Wohnung. Sie komme aber immer wieder ins Hotel, weil sie hier Freundinnen habe, erzählt die 42-Jährige, die vor dem Krieg Dozentin an einer Kiewer Hochschule war. Außerdem übt ihre Tochter hier regelmäßig auf dem Klavier, das hier im Hotel im Musikzimmer steht. „Wenn ich eine gute Stelle bekomme, bleibe ich erst einmal in Deutschland“, sagt Menchynska, „das ist besser für die Kinder.“ Denn selbst wenn der Krieg bald enden würde, wären die Umstände in der Ukraine weiter schwierig.

Iana Dianova hat ebenfalls schon eine Wohnung in einem Frankfurter Stadtteil gefunden. Falls sich die Lage in der Ukraine nicht bessert, will sie hier bleiben, ihre Diplome anerkennen lassen und wieder als Zahnärztin arbeiten.