Frankreich geht, Russland kommt

Nairobi, Bamako (epd). Stühlerücken in der Durchfahrt zu einem Hinterhof in der malischen Hauptstadt Bamako: Es ist gegen 15 Uhr und noch heiß, in der Durchfahrt allerdings etwas kühler. Die nacheinander eintreffenden Männer und Frauen sind zu früh. Erst in einer Stunde soll die Versammlung der Bewegung „Yerewolo Debout sur les remparts“ (etwa: „Wachsam auf den Zinnen“) beginnen. Deren Präsident Adama Ben Diarra gilt als einer der derzeit einflussreichsten Aktivisten in Mali. Wie viele andere Malierinnen und Malier begrüßt er das Ende der französischen Anti-Terroroperation Barkhane.

Anfang des Jahres hatte Präsident Emmanuel Macron den Abzug der Soldaten verkündet, die seit 2013 im Land stationiert sind. Seitdem ist Russland Malis wichtigster Partner in Sicherheitsfragen. Schon länger sollen sich Söldner des Kreml-nahen Wagner-Konzerns in dem Land aufhalten, was die militärische Übergangsregierung offiziell bestreitet. Obwohl es Berichte über Menschenrechtsverbrechen der russischen Sicherheitskräfte gibt, sagt der 36-jährige Diarra: „Russland ist der natürliche Partner des malischen Volkes.“

Tatsächlich reicht die Zusammenarbeit zwischen Russland und Mali bis in die 1960er Jahre zurück. Nach seiner Unabhängigkeit von Frankreich schloss sich Mali zunächst dem sozialistischen Lager an. Anfang der 1990er Jahre wurde Mali formal demokratisch, baute die Zusammenarbeit mit westlichen Staaten, die nie ganz aufgehört hatte, weiter aus. Frankreich spielte dabei die wichtigste Rolle. Im Jahr 2013 stoppte die ehemalige Kolonialmacht auf Bitten der damaligen Regierung den Vormarsch islamistischer Gruppen nach Süden und blieb seitdem militärisch präsent.

Doch in den vergangenen Jahren demonstrierte die Bevölkerung immer wieder zu Tausenden gegen die Regierung - und deren mächtigsten Partner Frankreich. Diarra gehörte zu den Oppositionsbewegungen hinter den Protesten. Der Zuspruch war gewaltig, denn die Bevölkerung fühlte sich von der korrupten Elite ausgebeutet. Vor allem aber verschlechterte sich die Sicherheitslage zunehmend. Islamistische Gruppen weiteten ihren Einfluss aus, ethnische Konflikte kamen hinzu. Weder die französischen Truppen noch die malische Armee konnten die Bevölkerung schützen: Ganze Dörfer wurde abgebrannt, hunderte Menschen grausam getötet.

Die Wut der Malierinnen und Malier stieg, bis im August 2020 die Armee erstmals putschte, und dann noch einmal wenige Monate später. Seitdem haben sich die Beziehungen zwischen der militärischen Übergangsregierung und der EU, aber auch mit der westafrikanischen Wirtschaftsunion Ecowas stetig verschlechtert. Auch in Deutschland ist die bis Ende Mai notwendige Verlängerung der Mandate für die Teilnahme der Bundeswehr am UN-Blauhelmeinsatz Minusma und an der EU-Ausbildungsmission EUTM umstritten.

Das liegt nicht zuletzt an erneuten schweren Vorwürfen gegen die malische Armee und russische Sicherheitskräfte. Anfang April berichtete Human Rights Watch von einem mutmaßlichen Massaker an etwa 300 Menschen in Moura in Zentralmali, an dem laut Zeugenaussagen auch russische Kämpfer beteiligt waren. Die EU stoppte daraufhin die militärische Ausbildung der malischen Soldaten im Rahmen von EUTM, und auch das Auswärtige Amt forderte eine umgehende und unabhängige Untersuchung.

Diarra hat von solchen Vorwürfen gegen die malische Armee und ihre russischen Partner gehört. „Das ist die alte Leier, für uns sind diese Vorwürfe des Westens nicht neu“, sagt er mit fast schleppender Stimme. „Überall, wo der Westen nicht am Drücker ist, spricht er von Übergriffen der Armee gegen die Zivilbevölkerung.“ Diarra sieht darin bewusst lancierte Versuche Frankreichs, den Ruf der malischen Armee und ihrer russischen Partner zu beschädigen. „Die Vorwürfe sind aus der Luft gegriffen“, sagt er.

Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen der Armee werden in Mali von vielen Menschen erstaunlich wenig ernst genommen. Das gilt auch für Boubacar Bocoum. Er ist Präsident einer noch jungen politischen Partei und Analyst am malischen Zentrum für Strategische Studien. „Derlei Übergriffe werden in einem Krieg auch Kollateralschäden genannt“, sagt er. „Man kann so etwas nicht verhindern, aber wo ist das Problem? Entscheidend ist am Ende die Bilanz: Hat die Militäroperation mehr Positives oder mehr Negatives bewirkt? Allein darauf kommt es an.“

Es ist eine fast verstörende Reaktion auf den Mord an hunderten Zivilisten. Natürlich repräsentiert Boubacar Bocoum nur einen Teil der Bevölkerung, aber eine völlige Außenseitermeinung vertritt er auch nicht. Es scheint, als sehne sich die malische Bevölkerung derzeit vor allem nach einem: Stabilität. Und das womöglich um jeden Preis.