Forschungsprojekt: Erinnerungsarbeit verändert sich
Eichstätt (epd). Forscherinnen der Katholischen Universität (KU) Eichstätt untersuchen seit einem Jahr im Rahmen eines Forschungsprojekts, wie sich Erinnerungsarbeit verändert, wenn es immer weniger Zeitzeugen gibt. Das Verbundprojekt „EZRA - Rassismus und Antisemitismus erinnern“ in Zusammenarbeit mit der Freien Universität Berlin nimmt dafür laut Mitteilung der KU zivilgesellschaftliche Initiativen in den Fokus. Diese seien „zentrale Impulsgeber für unsere heutige Erinnerungskultur“, sagte Karin Scherschel, Inhaberin des Lehrstuhls für Flucht- und Migrationsforschung an der KU, anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar.
Ein Beispiel für zivilgesellschaftliche Erinnerungsarbeit seien die Stolpersteine. Es gebe aber auch andere Gedenkorte und vom originalen Ort unabhängig gestaltete Denkmäler und Straßenumbenennungen, die von Initiativen erkämpft und gepflegt würden. „Oftmals bieten die Initiativen begleitende Bildungsarbeit, zum Beispiel in Form von Stadtrundgängen, an“, so die wissenschaftliche Mitarbeiterin Angelika Laumer. Wichtig sei auch, so Karin Scherschel, dass Erinnerungspolitik den Weg ins Digitale finde. Ein aktuelles Beispiel dafür sei die Kampagne „#SayTheirNames“, die der neun Personen gedenkt, die aus rassistischen Motiven im Februar 2020 in Hanau getötet wurden.
In den letzten Jahrzehnten habe sich das Feld der Erinnerungsarbeit verändert. Das öffentliche Bewusstsein sei sehr stark durch die Erinnerung an den Nationalsozialismus geprägt. „Aber seit den 2000er Jahren, spätestens mit der Enttarnung des NSU, haben Initiativen, die an rassistische Gewalt nach 1945 erinnern, begonnen, sich zu organisieren“, sagte Scherschel. Es gebe aber auch Gruppen, die an Kolonialverbrechen erinnern. Die Ziele der Initiativen seien dabei unterschiedlich. So gehe es manchen vor allem darum, an konkrete Personen oder Ereignisse zu erinnern, während andere allgemein nach gerechten Gesellschaftsverhältnissen strebten.
Angesichts eines bundesweiten Anstiegs rechter, rassistischer und antisemitisch motivierter Gewalt verzeichnen die Forscherinnen Anhaltspunkte für Umbrüche, besonders bei Initiativen in ostdeutschen Bundesländern. „Es ist bekannt, dass die AfD kein Interesse an Erinnerungspolitik hat. Wenn der Bürgermeister durch die AfD gestellt wird, hat das vor Ort konkrete Folgen“, so Scherschel.
Beim Interesse an Erinnerungspolitik müsse man außerdem zwischen den öffentlichen Debatten und dem lokalen Kontext unterscheiden. Mit Blick auf den Holocaustgedenktag zeige sich: „So selbstverständlich das institutionalisierte Gedenken ist, ist es zugleich nicht so, dass das Gedenken an den Nationalsozialismus auf der lokalen Ebene überall anerkannt ist“, weiß Scherschel. „Es ist nach wie vor ein umstrittenes Thema und wird noch umstrittener werden, je stärker Rechtsaußenparteien an Möglichkeiten gewinnen.“
„EZRA - Rassismus und Antisemitismus erinnern“ ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Verbundprojekt und läuft bis Ende 2026. Die zwei Teilprojekte befassen sich mit lokaler Erinnerungsarbeit zivilgesellschaftlicher Initiativen sowie mit digitalen Bildungsformaten für die Erinnerungsarbeit. Ziel des Projekts ist die Entwicklung einer Online-Plattform mit Lernmaterialien.