Forscher: Waffenlieferungen können zu Friedensverhandlungen führen

Osnabrück (epd). Die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine kann nach Ansicht des Osnabrücker Friedens- und Konfliktforschers Ulrich Schneckener die Chance für Friedensverhandlungen mit Russland erhöhen. Nur wenn die Ukraine in die Lage versetzt werde, sich gegen die russische Invasion längere Zeit zu verteidigen, könne es zu einer Pattsituation zwischen den Kriegsparteien kommen, sagte Schneckener in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

„Sofern die russische Seite versteht, dass sie ihre Kriegsziele militärisch nicht realisieren kann, besteht eine Chance für substantielle Verhandlungen.“ Allerdings werde es äußerst schwierig sein, selbst bei einem Waffenstillstand eine Lösung für die bis dahin von Russland besetzten Gebieten zu finden.

Die russische Regierung werde möglicherweise nach dem Modell der Annexion der Krim auch die aktuell eroberten Gebieten als Teile Russlands betrachten, die verteidigt werden müssten, erläuterte der Professor für Internationale Beziehungen an der Uni Osnabrück. Umgekehrt werde Kiew auf die besetzten Gebiete nicht verzichten, auch weil dies das Schicksal von Millionen Ukrainer und Ukrainerinnen betreffe. „Ob sich beide Seiten auf eine schrittweise Rückkehr zum territorialen Status vor der Invasion einlassen würden, ist dann mehr als fraglich.“

Die Unterstützung der Ukraine mit Rüstungsgütern sei zudem unerlässlich, wenn man ein weiteres Szenario im Spiel halten wolle, betonte Schneckener: Ein Zurückdrängen der russischen Invasion aus ukrainischen Gebieten, möglichweise sogar verbunden mit politischen Änderungen in Moskau. „Dann würden die Verhandlungen primär über die Bedingungen und Zeitpläne für einen geordneten Rückzug der russischen Truppen geführt werden.“

Der von vielen Prominenten in Deutschland geforderte Stopp von Waffenlieferungen würde die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine entscheidend schwächen und das Land an Putin ausliefern, kritisierte der Politologe. „Das wäre eine Art Freibrief an den russischen Präsidenten, weitere Territorien zu erobern oder gar erneut Kiew anzugreifen. Warum sollte er sich dann an einen Verhandlungstisch setzen?“

Die Warnung, Putin könne die Lieferung schwerer Waffen als Kriegseintritt der Nato interpretieren, geht nach Ansicht Schneckeners ins Leere. Das Argument, der Westen dürfe Putin nicht provozieren, werde schon seit Jahren vorgebracht. Es habe zu genau der fehlgeleiteten deutschen Russlandpolitik geführt, die nun zu Recht kritisiert werde. Letztlich erlaube man es so dem Gegenüber, jeden Anlass zu nutzen, um sich vermeintlich provoziert zu fühlen und damit eigene Handlungen zu legitimieren. „Wenn man sich auf dieses Spiel einlässt, ist man völlig in der Hand derer, die sich die Regeln dafür ausgedacht haben.“