Forscher: Die AfD ist Krisen- und Konfliktgewinnerin
Bielefeld (epd). Zur Stärkung der AfD in der Bundestagswahl hat nach Einschätzung des Extremismusforschers Andreas Zick auch der Wahlkampf der anderen Parteien beigetragen. „Dass sich alle älteren Parteien im Wahlkampf auf das Thema Migration und Asyl und vor allem auf das Versprechen harter und schneller Lösungen gesetzt haben, hat der AfD geholfen“, sagte Zick am Montag in Bielefeld dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es müsse nun allen anderen Parteien klar sein, dass die Versprechen von schnellen Lösungen und harter Politik „Wasser auf die Mühlen des Populismus ist“.
Der Rechtspopulismus lebe von massiven Bedrohungs- und Verunsicherungskampagnen und damit verbundenen Heilsbotschaften, erklärte der Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. „Die AfD ist auch Krisen- und Konfliktgewinnerin“. Für die Partei habe daher die Politik von Angst, Furcht und Bedrohungen gut funktioniert. Die Partei habe zuvor die Verunsicherungen in der Coronapandemie erfolgreich skandalisiert.
Der Stimmenzuwachs der AfD wird sich laut Zick auch auf das gesellschaftliche Klima auswirken. Die AfD bietet „radikalen und wütenden Menschen einen Ort und gibt dem eine Stimme“, erklärte der Forscher. „Das werden wir spüren.“ Nicht alle Anhänger der Partei seien rechtsextrem, nicht alle würden menschenfeindliche Einstellungen und Hass teilen. Die antidemokratischen Einstellungen unter den Anhängern seien jedoch größer und extreme Meinungen würden toleriert.
Wenn nach Anschlägen über Migration öffentlich kontrovers diskutiert werde, sei das verständlich, sagte Zick. Bei der Migration gehe es jedoch nicht im Kern um Kriminalität und Extremismus, sondern um die Frage der Steuerung von Zu- und Auswanderung.
Angesichts der Instabilität der Demokratie braucht es „dringend eine Stärkung der Wehrhaftigkeit von Demokratie“, mahnte der Wissenschaftler. Dazu gehörten eine Stärkung der Extremismusprävention und „vor allem endlich ein Ernstnehmen von politischer Gewalt“. Die neue Bundesregierung müsse „den Ausgleich in der Mitte suchen“, erklärte Zick. Von Beginn an sollte sie neben allen wirtschaftlichen und außenpolitischen Themen „ein Zeichen der Stärkung der Demokratie setzen“.
Das Interview im Wortlaut:
epd: Die AfD wurde bei der Bundestagswahl zweitstärkste Kraft. Was sind die Gründe, diese Partei zu wählen?
Zick: Unter den AfD-Wählern sammeln sich immer mehr sehr unterschiedliche Gruppen, daher gibt es auch nicht den einen zentralen Grund für den Erfolg. Ich rate davon ab, einfache Gründe zu suchen. Erfolg haben Parteien, wenn sich Wählerinnen und Wähler mit ihnen identifizieren können, wenn die Partei Zugehörigkeit und ein Zukunftsmodell bietet. Die AfD bietet eine einfache Identität von Volk. Diese basiert auf banalen Abgrenzungen zu anderen und einem Befeuern von immer neuen Gefahren, die Deutschland bedrohen.
epd: Was sind konkrete Anknüpfungspunkte bei den Wählern?
Zick: Die Partei erhält im Kern Unterstützung von Menschen, die seit Jahren die AfD als Oppositionspartei gegen das etablierte System verstehen. Sie hat Menschen gebunden, die mit einem Leitbild einer starken deutschen Nation, einer Art „Germany First“ und einer vermeintlichen deutschen Normalität, die sie allein definieren, Hoffnung auf Sicherung von vermeintlich angestammten Vorrechten machen.
Das hat im Osten besonders gegriffen, wo sie viele Menschen auch in ihren Ressentiments gegen Migration wie auch gegen „den Westen“ gebunden hat. Sie ist dort Wendegewinnerin und hat die Stimmungen von Mangel und Abgehängtsein gebunden. Dass sie dabei neurechte, sogenannte identitäre und in Teilen rechtsextreme Politikvorstellungen in ihren Reihen erst toleriert, dann absorbiert, hat sie geschafft, weil die äußerste Rechte den Ton angibt.
epd: Was sind die Motive im Westen Deutschlands?
Zick: Im Westen hat sie viele enttäuschte Konservative gebunden, die sich an traditionellen und in Teilen konservativ romantisch verklärten Bildern orientieren. Aber auch das funktioniert nur, weil heute die Politik von Angst, Furcht und Bedrohungen, die ständig produziert werden, gut funktioniert. Die AfD ist auch Krisen- und Konfliktgewinnerin, hat die Verunsicherungen in der Coronapandemie erfolgreich skandalisiert. Nun wird sie von mächtigen Kräften im Ausland unterstützt, die Deutschland unter Druck setzen möchten oder Instabilität suchen. Dass alle älteren Parteien dann im Wahlkampf sich auf das Thema Migration und Asyl und vor allem auf das Versprechen harter und schneller Lösungen gesetzt haben, hat ihr geholfen.
epd: Was bedeutet es für das gesellschaftliche Klima, wenn jeder fünfte Wähler AfD wählt?
Zick: Es wird ungemütlich, rauer und vor allem werden die Szenarien von Bedrohungen und einem Untergang Deutschlands nicht aufhören. Viele Menschen wählen die AfD, weil sie diese Szenarien glauben und sich in ständigem Bedrohungsmodus befinden. Das schafft immer weitere Polarisierungen, hält Wut und Empörung aufrecht. Die AfD und ihre Wählerinnen und Wähler haben eine nationalistische Mission, und das werden alle merken. Der Trumpismus, Russland und auch China werden im Hintergrund weiter Einfluss auf die Meinungen und die Verzerrung von Realitäten nehmen.
Herkömmliche demokratische Modelle von Dialog, Debatte und einem toleranten Austausch an politischen Meinungen greifen derzeit nicht mehr. Die Konflikte werden zunehmen und sie werden zunehmend als schädigend und kaum mehr regulierbar wahrgenommen. Das sehen die Menschen auch deutlich, wie unser letzter „Konfliktmonitor“ vom Dezember zeigt, also mitten im Wahlkampf. Die AfD hat seit Jahren das Bild aufgebaut, dass sie die einzig wahre Opposition ist und - ohne es genau zu definieren - die Alternative zur althergebrachten Demokratie.
epd: Sind alle AfD-Wähler rechtsextrem?
Zick: Es gibt eine Vielzahl an Studien zu den politischen Einstellungen und Wahrnehmungen von Wählern der AfD. Nicht alle Wähler sind rechtsextrem, nicht alle teilen menschenfeindliche Einstellungen, nicht alle befürworten Hass und Gewalt. Allerdings sind die antidemokratischen Einstellungen unter den Anhängerinnen und Anhängern größer. Außerdem werden extreme Meinungen toleriert oder sogar veredelt, wie der Wahlkampf gezeigt hat. Das heißt, die AfD bietet radikalen und wütenden Menschen einen Ort und gibt diesen eine Stimme und nicht den Stimmen der Mäßigung. Das werden wir spüren.
epd: Welche Folgen ergeben sich aus dem Wahlergebnis der AfD?
Zick: Es müsste nun allen anderen Parteien klar sein, dass selbst in einer Lage von terroristischen Attentaten durch Ausländer oder Geflüchtete und einer Lage massiver Verunsicherung die Versprechen von schnellen Lösungen und harter Politik Wasser auf die Mühlen des Populismus ist. Rechtspopulismus lebt von massiven Bedrohungs- und Verunsicherungskampagnen und Heilsbotschaften, die dann eingelöst werden, wenn die Anhänger sich unterordnen. Dass in der Fokussierung auf Szenarien von Bedrohungen und Verunsicherungen viele andere Themen, die Menschen bewegen, nicht mehr angesprochen werden, unterstützt die Kampagne populistischer Kräfte, dass die ‚„Altparteien“ sich um diese Themen nicht kümmern würden.
epd: Was könnten angesichts einer infrage gestellten Demokratie Gegenmaßnahmen sein?
Zick: Angesichts der Instabilität der Demokratie, die nicht allein durch extremistische Bedrohungen von innen, sondern zunehmend auch von außen dazugekommen sind, braucht es dringend eine Stärkung der Wehrhaftigkeit von Demokratie. Dazu gehören eine Stärkung der Extremismusprävention und vor allem endlich ein Ernstnehmen von politischer Gewalt. Die Kriminalstatistiken und unsere Studien zeigen, dass das Ausmaß der Billigung und Bereitschaft zu politischer Gewalt in Deutschland zugenommen hat. Das ist nicht allein eine behördliche Aufgabe, sondern braucht eine nationale Gewaltpräventionsstrategie, die alle Kräfte, die Aggression und Gewalt bändigen können, an den Tisch bringt.
epd: Was sollte die Bundesregierung dabei angehen?
Zick: Die Toleranz gegenüber Hass, gegenüber menschenfeindlichen Bildern anderer und auch Gewalt ist beunruhigend. Gerade in Krisen- und Konfliktzeiten braucht es nach innen Ruhe und Eintracht, genau das Gegenteil ist der Fall. Außerdem rate ich, aus dem Modus der Sofortversprechen zu kommen. Migration und Asyl können reguliert, begrenzt wie auch verstärkt werden. Nur es braucht dazu einen Plan. Die Grenzen zu schließen, wo deren Öffnung ein historischer europäischer Erfolg war, ist kein hoffnungsvolles Programm.
Die Gewalt- und Extremismusprävention sollte gestärkt werden, weil es um die wehrhafte Demokratie geht. Rechtsextremismus bekämpft man nicht, indem man die Themen und Ressentiments von Rechtsextremen aufgreift. Zudem kann in der Politik die Expertise der Forschung über mögliche Demokratieprojekte ernster genommen werden.
epd: Eines der Hauptthemen im Wahlkampf war die Migration. Wie bewerten Sie die angekündigten Maßnahmen der Wahlgewinner?
Zick: Das Thema Migration scheint in Deutschland eher ein Thema der Sicherheit und Kontrolle zu sein. Das grenzt die Entwicklung von Zukunftsmodellen für das Land ein. Angesichts dessen, dass Migration so ein zentrales Thema ist, würde ich mir ein eigenständiges Ministerium wünschen. Dass über Migration öffentlich kontrovers diskutiert wird, wenn Attentate passieren, mag verständlich sein. Aber bei der Migration geht es nicht im Kern um Kriminalität und Extremismus, sondern um die Frage der Steuerung von Zu- und Auswanderung.
epd: Wie kann eine neue Bundesregierung die Spaltung der Gesellschaft verringern?
Zick: Sie muss den Ausgleich in der Mitte suchen, sie sollte von Beginn an ein Zeichen der Stärkung der Demokratie neben allen wirtschaftlichen und außenpolitischen Themen setzen. Und sie sollte die Entwicklung des Extremismus von Innen sehr ernst nehmen. Demokratische Regierungen brauchen ein demokratisch offenes, stabiles und tolerantes Volk. Angesichts der Beobachtung, dass nun auch zunehmend andere Länder ein Interesse an der Destabilisierung des Landes haben, ist die Demokratiestärkung umso wichtiger. Es geht also weniger um die eigene Profilierung einer Regierung, sondern um ein klares Zeichen gegen Extremismus mit zuversichtlichen Modellen der Stärke von Demokratien.