Evakuierungen aus Kabul kommen voran

Berlin/Kabul (epd). Die militärische Evakuierungsoperation am Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul geht weiter voran. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden bis Dienstagmorgen mehr als 3.600 Menschen von der Luftwaffe ausgeflogen, darunter mehr als 2.800 afghanische Staatsbürger. Im Durchschnitt gebe es alle zehn Minuten einen Start oder eine Landung, hieß es. Gleichzeitig mehren sich Berichte, dass ehemalige Ortskräfte von deutscher Polizei oder Entwicklungsorganisationen von den internationalen Soldaten am Flughafen wieder abgewiesen werden.

Der Vorsitzende des Patenschaftsnetzwerks Afghanische Ortskräfte, Marcus Grotian, sagte in Berlin, in diesen Minuten würden Menschen am Flughafen von Kabul abgewiesen, weil sie nicht auf den Listen stünden. Denn sie hätten zu einer Zeit für ein deutsches Ressort gearbeitet, die „nicht bürokratisch erfasst“ sei. Als Beispiel nannte er eine Frau, die noch 2017 bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) tätig gewesen sei. In den vergangenen Tagen habe sie immer wieder versucht, zum Flughafen zu gelangen. Sie habe es bis zu den deutschen Soldaten geschafft und sei dort abgewiesen worden.

Seiner Einschätzung nach wären insgesamt rund 8.000 Menschen - Ortskräfte und ihre Familienangehörigen - berechtigt, einen Antrag auf ein Visum für Deutschland zu stellen. Das seien nur diejenigen, die direkt für deutsche Organisationen gearbeitet hätten. Doch diese Zahl wurde seinen Angaben nach „durch bürokratische Hürden“ um etwa 50 Prozent reduziert.

Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) warnte vor einer hohen Gefahr für afghanische Mitarbeiter von Entwicklungsorganisationen unter der Herrschaft der Taliban. Er traue den Zusicherungen der Aufständischen nicht, „es wird bereits jetzt verfolgt und gemordet“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“ (Dienstag). Allerdings hat das Entwicklungsministerium noch bis kurz vor der Machtübernahme der Taliban darauf gesetzt, in Afghanistan weiterarbeiten zu können und stets darauf verwiesen, dass die meisten Ortskräfte in der Entwicklungszusammenarbeit nicht den Wunsch hätten, das Land zu verlassen.

Zugleich wird die Situation nach Bundeswehrangaben rund um den Flughafen gefährlicher. So gebe es Hinweise, dass zunehmend Selbstmordattentäter der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Kabul einsickerten. Zudem rückt der 31. August näher, das geplante Rückzugsdatum internationaler Truppen aus Afghanistan. Ein Taliban-Führer hatte dem britischen Sender Sky News in Doha gesagt, eine Verlängerung der Frist komme nicht infrage. Diese Aussage nehme sie sehr ernst, sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU).

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen kündigte derweil eine Vervierfachung der humanitären Hilfe für bedürftige Afghanen an. Beim G7-Gipfel am Nachmittag wollte sie eine Erhöhung von bisher geplanten über 50 Millionen Euro auf über 200 Millionen Euro ankündigen, wie sie auf Twitter mitteilte. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlug indes wegen eines drohenden Medikamentenmangels in Afghanistan Alarm. „Die Vorräte im Land halten noch eine Woche“, sagte der WHO-Direktor für die Region östliches Mittelmeer, Ahmed Al-Mandhari, bei einer virtuellen Pressekonferenz.

Seit der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban vor gut einer Woche bringen westliche Länder ihre Staatsangehörigen und weitere schutzbedürftige Menschen über den Flughafen Kabul außer Landes. Allerdings geht die Bundesregierung nicht davon aus, bis Ende des Monats alle ihre afghanischen Ortskräfte ausfliegen zu können.