Ein Urteil zu sexueller Gewalt in Ruanda schrieb Rechtsgeschichte

Den Haag (epd). Die grauenhaften Taten von Jean-Paul Akayesu führten zu einem wegweisenden Richterspruch: Der frühere Bürgermeister der ruandischen Stadt Taba ist der erste Mann, der jemals wegen des Einsatzes von Vergewaltigung als Kriegswaffe verurteilt wurde.

Während 1994 der Völkermord in seinem Land wütete, schlenderte Akayesu laut Zeugenberichten regelmäßig über das Gelände seiner Gemeindeverwaltung, gab Anweisungen an Soldaten und Polizisten und schaute immer wieder im Kulturzentrum vorbei. Dort wurden in der Zeit Dutzende Frauen vergewaltigt, die der Tutsi-Minderheit angehörten.

Nach Ende des Völkermords, bei dem Hutu-Extremisten in wenigen Wochen rund 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu abschlachteten, wurde Akayesu verhaftet und vor das neu gegründete Ruanda-Tribunal in Arusha (Tansania) gestellt. Er war nicht nur der erste Tatverdächtige auf der Anklagebank des Sondergerichts der Vereinten Nationen, sondern auch der erste Angeklagte, der sich wegen Vergewaltigung verantworten musste.

In einer emotionalen Sitzung berichtete ein Opfer unter dem Pseudonym "JJ" von systematischen Vergewaltigungen. Sie sei mit weiteren Frauen bei Regenwetter in das Kulturzentrum gebracht worden, wo sie immer wieder von mehreren Männern missbraucht worden seien, sagte die Zeugin. Zwar habe sie nie gesehen, dass Akayesu selbst Frauen vergewaltigt hätte - er habe jedoch oft daneben gestanden und zugeschaut. 

Die Richter glaubten "JJ". Im Herbst 1998 wurde der Politiker und ehemalige Lehrer unter anderem wegen Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord zu lebenslanger Haft verurteilt. 

Das Akayesu-Urteil gilt als Meilenstein im Völkerrecht: Zum ersten Mal wurde ein Angeklagter wegen sexueller Kriegsgewalt verurteilt. Die Richter erklärten zudem, dass Vergewaltigung in einem Völkermord als Waffe eingestuft werden könne, um eine Bevölkerungsgruppe zu vernichten. Zudem gibt es seit dem Akayesu-Urteil im Völkerrecht eine Definition von Vergewaltigung.

Der Einsatz von sexueller Gewalt als Kriegswaffe war zwar schon lange verboten. Bereits eines der ersten Regelwerke zur Kriegsführung, der Lieber Code, der während des US-amerikanischen Bürgerkriegs 1863 veröffentlicht wurde, stellte Vergewaltigung unter Strafe. Seither wurde das Verbrechen in verschiedenen Verträgen festgelegt, wie zum Beispiel den Genfer Konventionen. Verfolgt wurden sexuelle Verbrechen aber nicht. 

"Es herrscht bei den Opfern große Angst vor Vergeltung und Stigmatisierung", erläuterte die französische Juristin Catherine Marchi-Uhel bei einer UN-Veranstaltung in New York. Hinzu komme, dass sexuelle Gewalt lange als unvermeidbarer Teil eines Kriegs betrachtet und deshalb von Ermittlern und Anklägern ignoriert wurde. Marchi-Uhel arbeitete am Jugoslawien-Tribunal und leitet heute eine UN-Kommission, die Beweise für Verbrechen im Syrien-Krieg sammelt. 

Auch das Fehlen weiblicher Juristen vielerorts trägt Experten zufolge dazu bei, dass Verbrechen gegen Frauen weniger wahrgenommen und verfolgt werden. So kritisiert die Frauenrechtsorganisation "Women's Initiatives For Gender Justice", dass derzeit nur sechs der 18 Richter am Internationalen Strafgerichtshof Frauen sind. Nur eine Führungsposition an dem Weltstrafgericht in Den Haag hat derzeit eine Frau inne: Die Gambierin Fatou Bensouda ist Chefanklägerin.

Seit ihrem Amtsantritt 2012 hat sich Bensouda die Strafverfolgung von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt auf die Fahnen geschrieben. Ermittler und Ermittlerinnen werden speziell weitergebildet, diesen Verbrechen wird nun gezielt Beachtung geschenkt.

Bisher sind die Ergebnisse jedoch mager. An den Kriegsverbrecher-Tribunalen für Ruanda und Jugoslawien erreichten die Ankläger seit dem Akayesu-Fall immer wieder Verurteilungen wegen sexueller Gewalt, darunter Präzedenzfälle wie sexuelle Sklaverei und die Vergewaltigung von Männern. Am Strafgerichtshof gibt es seit der Eröffnung 2002 dagegen noch keinen rechtskräftigen Schuldspruch wegen sexueller Kriegsgewalt. 

Die einzige Verurteilung - 2016 gegen den früheren kongolesischen Vizepräsidenten Jean-Pierre Bemba - wurde im vergangenen Jahr wegen einer fehlerhaften Einschätzung der Beweise im Berufungsverfahren aufgehoben. Ein anderer Fall ist derzeit anhängig: Dem ugandischen Rebellenführer Dominic Ongwen werden neben anderen Gräueltaten elf verschiedene Sexualverbrechen zur Last gelegt.