Die Macht der Geduld

Den Haag (epd). Die internationale Strafjustiz hat einen langen Arm - und einen noch längeren Atem. Fast 17 Jahre nach dem Start von Ermittlungen zum Bürgerkrieg in Darfur beginnt diese Woche in Den Haag der erste Prozess wegen schwerer Verbrechen in der sudanesischen Konfliktregion. Ali Muhammad Ali Abd-Al-Rahman, ein mutmaßlicher Anführer der berüchtigten Dschandschawid-Milizen, muss sich ab Dienstag vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten.

Der Anklage zufolge führte Abd-Al-Rahman - auch bekannt unter dem Namen Ali Kushayb - zwischen 2003 und 2004 das Kommando über Tausende Dschandschawid-Kämpfer, einer vom damaligen sudanesischen Regime unterstützten Miliz. Dschandschawid hätten Menschen aus den Dörfern zusammengetrieben, und Männer - vor allem Angehörige der Fur-Bevölkerungsgruppe - seien exekutiert worden, erklärte die damalige Chefanklägerin Fatou Bensouda bei der Vorstellung der Anklageschrift vor rund einem Jahr. Abd-Al-Rahman sei vor Ort dabei und direkt an den Taten beteiligt gewesen. „Er spielte eine entscheidende Rolle, führte die Angriffe an, verübte Morde und gab weitere Morde in Auftrag“, sagte Bensouda.

Dass nun ein Prozess gegen Abd-Al-Rahman eröffnet wird, gilt weithin als wichtiger Schritt für den Strafgerichtshof und die Überlebenden des Bürgerkriegs in Darfur. Die Anklagebehörde hatte im Juni 2005 erstmals Ermittlungen in der Region aufgenommen und Haftbefehle gegen fünf Männer beantragt, darunter der frühere Präsident Omar al-Baschir. Solange Baschir an der Macht war, wurde jedoch niemand festgenommen und nach Den Haag überstellt. Die Ermittler bekamen nicht einmal die Erlaubnis, das Land zu betreten.

„Über all die Jahre haben diejenigen, die an schweren Verbrechen beteiligt waren, kaum Konsequenzen gespürt“, resümiert Elise Keppler von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Nach dem Sturz des Regimes 2019 wurde Baschir festgenommen, Abd-Al-Rahman stellte sich der Justiz 2020 in der Zentralafrikanischen Republik. Baschir hingegen wurde bisher noch nicht wegen der Verbrechen in Darfur verfolgt oder nach Den Haag überstellt. Der Prozess gegen seinen Vertrauten Abd-Al-Rahman sei nun eine lang erwartete Gelegenheit für die Opfer, einen Anführer wegen schwerer Verbrechen vor Gericht zu sehen, erklärt Keppler.

Weil der Strafgerichtshof keine eigene Polizei besitzt, ist er für die Festnahme und Überstellung von Verdächtigen auf die Mitgliedsstaaten angewiesen. Die nicht erfüllten Haftbefehle wegen der Verbrechen in Darfur galten lange als Beweis für die Schwäche und Machtlosigkeit des Gerichts. Sie waren lange nur ein Blatt Papier. Nun könnten sie als Beispiel dafür dienen, dass sich Geduld auszahlt. Mutmaßliche Verbrecher sollten zur Kenntnis nehmen, dass sie vor Gericht landen können, unterstreicht Keppler, auch wenn es lange dauere.