Der Krieg ist nur für die USA zu Ende

Als die Außenminister der USA und Nordvietnams in Paris einen Waffenstillstand unterzeichnen, schweigen die Waffen noch lange nicht. Darum geht es beiden Seiten auch gar nicht.

Frankfurt a.M./Hamburg (epd). Eigentlich hätte der Waffenstillstand den Vietnamkrieg beenden sollen. Aber auch als US-Außenminister William Rogers und sein nordvietnamesischer Kollege Nguyen Tuy Trinh am 27. Januar 1973 in Paris ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet haben, gehen die Kämpfe weiter. Zu Ende ist der Vietnamkrieg damit nur für die USA. Für die Vietnamesen enden die Kämpfe erst 1975.

Ausgehandelt haben den Pariser Vertrag der US-Sicherheitsberater Henry Kissinger und der nordvietnamesische Chefunterhändler Le Duc Tho. Beide bekommen im folgenden Herbst dafür den Friedensnobelpreis.

Bilder des Vietnamkriegs, in den die USA 1964 eingetreten waren, und seiner Toten waren per Fernseher in die Wohnzimmer der Welt gekommen. In den USA bekam die Bürgerrechtsbewegung, die schon seit den 1950er-Jahren immer mehr anschwoll, noch mehr Zulauf. Die 68er-Bewegung speiste sich aus einer Mischung: einerseits der Forderung nach Emanzipation und Liberalisierung, andererseits Protest gegen Bombenkrieg und Kriegsverbrechen. Sie strahlte auf die ganze westliche Welt aus.

Seit Mai 1968 liefen in Paris Friedensgespräche zur Beendigung des Krieges, allerdings schleppend. Die USA wollten den Krieg mithilfe der Feuerkraft ihrer Artillerie und Luftwaffe entscheiden, zahlreiche Zivilisten wurden dabei getötet. US-Truppen begingen auch Kriegsverbrechen, etwa als Soldaten im März 1968 in dem Dorf My Lai ein Massaker anrichteten. Auf kommunistischer Seite waren Kriegsverbrechen sogar Teil der Kriegsführung. In der Stadt Hue richteten Nordvietnamesen und Vietcong-Rebellen 1968 mehrere Tausend Menschen hin.

US-Präsident Richard Nixon wollte eine Friedenslösung erzwingen, indem er den militärischen Druck auf Nordvietnam erhöhte. In drastischen Worten kündigte er im Mai 1972 an: „So wie sie diesmal bombardiert werden, sind diese Bastarde noch nie bombardiert worden.“ Über Monate hinweg entsandten die USA B-52-Bomber, die weite Teile Vietnams in eine Mondlandschaft verwandelten.

Tatsächlich erzielten die USA und Nordvietnam im Oktober eine Einigung. Sie scheiterte aber, weil Südvietnam nicht zustimmte. Kurz darauf wollte wiederum Nordvietnam nicht mehr verhandeln. Es folgte eine erneute Bombenkampagne im Dezember 1972. Hanoi kam wieder an den Verhandlungstisch.

Wobei der militärische Druck nach Ansicht des Potsdamer Historikers Bernd Stöver nicht die entscheidende Rolle spielte. „Dieses An-den-Verhandlungstisch-bomben hat aus meiner Sicht nichts gebracht“, ordnet er ein. Auch Stövers Hamburger Kollege Bernd Greiner sagt: „Dieser Waffenstillstand hätte schon 1969 vereinbart werden können.“ Es sei ein Irrglaube gewesen, dass durch eine Eskalation des Kriegs bessere Waffenstillstandsbedingungen zu erreichen gewesen wären.

Denn die Bedingungen sind für die USA in der Tat nicht sehr vorteilhaft. Wie in dem Pariser Papier vereinbart, ziehen die USA binnen sechs Wochen ihre Bodentruppen aus Südvietnam ab. Die Nordvietnamesen hingegen dürfen ihre Truppen im Süden stehen lassen.

Die friedliche Wiedervereinigung beider Teile Vietnams steht als Fernziel im Vertrag. Aber den USA ist klar, dass diese Worte nicht das Papier wert sind, auf dem sie stehen. „Es ging den USA hauptsächlich darum, ihr Prestige zu wahren“, erläutert Greiner. Washington rüstet Südvietnam so hoch, dass es lange genug durchhalten kann, um die Niederlage nicht als amerikanisch, sondern als südvietnamesisch aussehen zu lassen. Als Kissinger nach Abschluss der Waffenstillstandverhandlungen gefragt wird, wie lange der Süden noch wird aushalten können, antwortet er: „Wenn sie Glück haben, anderthalb Jahre.“

Es werden dann doch mehr als zwei Jahre. Im März 1975 treten Vietcong und nordvietnamesische Truppen zum Sturm auf Saigon an. Am 30. April erklärt Südvietnam die bedingungslose Kapitulation. Die Bilder von der chaotischen Evakuierung der US-Botschaft gehen um die Welt.

Nicht nur in Vietnam tobte der Krieg, sondern auch in Laos und Kambodscha. Über das Gebiet der beiden Nachbarstaaten verlief der sogenannte Ho-Chi-Minh-Pfad, über den Nordvietnam die Vietcong mit Nachschub versorgte, daher nahmen die USA ihn unter Feuer. „Das hat die getroffen, die man nicht treffen wollte, nämlich die Zivilbevölkerung“, sagt Historiker Stöver. Den Rebellen habe das nur mehr Kämpfer beschert.

Am Ende des Kriegs sind etwa drei Millionen Menschen in Südvietnam tot, darunter zwei Millionen Zivilisten. Für Nordvietnam gibt es nur Schätzungen. Sie gehen von einem etwa gleich hohen Opferzahl aus. Zudem sind Hunderttausende Menschen in Laos und Kambodscha sowie 58.000 US-amerikanische GIs gestorben.

Das vietnamesische Trauma habe die USA in den darauf folgenden Jahrzehnten davon abgehalten, in Konflikten mit eigenen Soldaten, insbesondere Bodentruppen, zu intervenieren, sagt der Potsdamer Wissenschaftler Stöver. Dafür habe das US-Militär hauptsächlich Kriege mit Luftangriffen geführt, zuletzt vermehrt mit Drohnen, um die eigenen Verluste gering zu halten.

Hintergrund: Vietnam und das Leid der Kinder

Die Folgen des Kriegs sind in Vietnam, Kambodscha und Laos bis heute spürbar. Nicht nur Menschen in Südostasien leiden darunter, sondern auch viele US-Veteranen.

Die US-Luftstreitkräfte klinkten über Vietnam, Laos und Kambodscha rund 9,5 Millionen Tonnen Bomben aus - mehr als sie im gesamten Zweiten Weltkrieg abgeworfen hatten. Bis heute liegt eine große Zahl Blindgänger im Boden der drei Staaten. Bauern können deswegen ihre Felder nicht bestellen.

Um dem Feind die Deckung im Dschungel zu nehmen, versprühte das US-Militär fast 80 Millionen Liter Entlaubungsmittel, meist „Agent Orange“. Es enthält Dioxin, das hochgradig krebserregend ist und das Erbgut schädigt.

Bis heute kommen als Folge des „Agent-Orange“-Einsatzes überdurchschnittlich viele Kinder in Vietnam mit körperlichen Missbildungen oder geistigen Behinderungen zur Welt. Die Zahl der „Agent-Orange“-Opfer wird auf zwei bis vier Millionen geschätzt, davon 150.000 Kinder.

Während des Kriegs nahm rund ein Drittel der US-Soldaten Heroin. Viele kamen danach nicht wieder weg von der Droge. Nach dem verlorenen Krieg wollte die US-Gesellschaft Vietnam nur noch vergessen und vergaß die Veteranen vielfach mit, die mit dem Leben nicht mehr zurechtkamen. Arbeitslosigkeit und psychische Probleme bestimmen das Leben vieler Veteranen. Noch Anfang der 1990er Jahre waren ein Viertel bis ein Drittel der rund 750.000 Obdachlosen in den USA ehemalige Vietnamkämpfer.

Chronologie:

Die Wahrnehmung der Kriege im heutigen Vietnam, Laos und Kambodscha ist geprägt durch das Engagement der USA, vor allem in den 1960er und 1970er Jahren. Die gesamte Auseinandersetzung währte aber deutlich länger und war der längste militärische Konflikt im 20. Jahrhundert.

  • 1946: Fast sofort nach dem Ende der japanischen Besatzung beginnt der erste Indochina-Krieg. Die „Front für den Kampf um die Unabhängigkeit Vietnams“ (Vietminh), der kommunistische und andere Kräfte angehören und die von Ho Chi Minh angeführt wird, kämpft gegen die französische Kolonialmacht.
  • 1954: Nach der Niederlage bei Dien Bien Phu zieht sich Frankreich aus seiner Kolonie zurück. Indochina wird geteilt in Kambodscha, Laos, das kommunistisch regierte Nordvietnam und das amerikanisch unterstützte Südvietnam. Die USA haben zuletzt 80 Prozent der französischen Kriegskosten getragen. Sie helfen nun auch dem Regime im Süden in dem sich dort entspinnenden Bürgerkrieg gegen Rebellen.
  • 1961: Die kurz zuvor gegründete „Nationale Front für die Befreiung Südvietnams“ (Vietcong) wird zur dominierenden Rebellenbewegung in Südvietnam. Sie ist kommunistisch kontrolliert und wird von Nordvietnam unterstützt, ab 1964 auch mit regulären Truppen. Die USA schicken im Laufe der Zeit immer mehr „Berater“, die teilweise selbst in die Kämpfe eingreifen. Im Januar 1961 stehen 800 US-Amerikaner im Land, im November 1963 bereits 16.000.
  • 1964: Als Antwort auf die „Zwischenfälle im Golf von Tonkin“ am 2. und 4. August bombardieren US-Kampfflugzeuge am 5. August großflächig Ziele in Nordvietnam. Außerdem entsenden die USA ab 1965 reguläre Truppen nach Südvietnam, um gegen den Vietcong zu kämpfen. Bei den Zwischenfällen sollen nordvietnamesische Schnellboote zweimal US-amerikanische Zerstörer angegriffen haben. Den zweiten Angriff gab es höchstwahrscheinlich nie.
  • 1968: Höhepunkt der US-Truppenpräsenz in Vietnam mit mehr als 500.000 GIs. Nach der Tet-Offensive des Vietcong verliert die Öffentlichkeit in den USA den Glauben, dass der Krieg siegreich beendet werden könne. US-Präsident Lyndon B. Johnson erklärt seinen Verzicht auf eine weitere Kandidatur um die Präsidentschaft, sein Nachfolger wird Richard Nixon, der verspricht, den Krieg zu beenden.
  • 1969: Nixon verkündet eine „Vietnamisierung“ des Kriegs und den schrittweisen Abzug der US-Truppen. Zugleich weitet er den Krieg durch Bombardements und einen Einmarsch in Kambodscha 1970 aus, um ihn doch noch zu gewinnen.
  • 1973: Die USA und Nordvietnam schließen einen Waffenstillstand, die USA ziehen sich aus Vietnam zurück.
  • 1975: Im März beginnen Nordvietnam und Vietcong eine Offensive. Am 30. April fällt die südvietnamesische Hauptstadt Saigon. Vietnam wird unter kommunistischer Führung vereinigt, der Krieg ist nach rund 30 Jahren zu Ende. Anschließend verfolgen die Sieger Anhänger und ehemalige Soldaten der südvietnamesischen Regierung. Viele Verfolgte fliehen als „boat people“ aufs Meer hinaus. Der Journalist Rupert Neudeck und sein Team retteten mit dem Schiff „Cap Anamur“ zahlreiche dieser Flüchtlinge.