Dem Schweigen der Großeltern eine Stimme geben

In der Romanfigur Maria sucht Helen M. Sand Antworten auf das Schweigen der Großeltern über die beiden letzten Kriegsjahre 1944 und 1945 in Süddeutschland. Der Erstlingsroman zeigt, wie der Glaube durch ein schweres Schicksal trägt.

Graben-Neudorf/Bruchsal (epd). Mühlbach, ein Ort wie viele andere im Kraichgau. Im Alter kehrt Maria aus den USA an diesen Ort ihrer Kindheit zurück. Doch: „Wie kommt man zurück, wenn man nie auf Wiedersehen gesagt hat“, fragt sich die Protagonistin des Romans „Im See der Himmel“ (BoD, Norderstedt) von Simone Schönung, alias Helen M. Sand.

Mit ihrem Erstlingsroman ist die Autorin zurzeit auf Lesereise in Deutschland. „Mühlbach ist ein fiktiver Ort, aus dem die Romangestalt Maria geflohen ist“, lässt Sand die Zuhörer bei einer ihrer Lesungen wissen. So ein „Mühlbach“ kenne wohl jeder, ergänzt sie.

Der Roman erzählt in zwei parallelen Strängen von der Rückkehr Marias an den Ort ihrer Kindheit und Jugend nach 60 Jahren: In der Jetztzeit begegnet sie ihren noch lebenden Verwandten. Sie versöhnt sich mit ihrer Schwester Käte und gewinnt in der Nichte Sophia eine Seelenfreundin.

In den Retrospektiven werden die Ereignisse in Mühlbach während des 2. Weltkrieges wieder lebendig. Anhand einer Schatzkiste mit Erinnerungsstücken ziehen die Kindheit Marias mit den zehn Geschwistern und ihre erste Liebe noch einmal am inneren Auge vorbei. Fotos, Briefe, Tagebücher und eine Kippa rufen die Zeit von 1944 und 1945 wach.

Viele Jahre hatte die Witwe den Schmerz, der mit den Erlebnissen damals verbunden war, verdrängt. Sich am Ende des Lebens der eigenen Geschichte zu stellen, ist heilsam. Maria findet nach der Reise ihren Seelenfrieden.

Die Autorin erzählt die Geschichte in der dritten Person aus dem Blickwinkel von Maria. Der Leser taucht über die Protagonistin ein in das Leben der Menschen während der beiden letzten Kriegsjahre. Er erfährt, wie der Krieg Familien zerriss, wie er Männer und Söhne traumatisierte, wie Großeltern und Eltern Kinder und Töchter zu schützen versuchten.

Die Geschichte von Maria ist regional in Süddeutschland verankert. So erlebt sie etwa die Bombardierung und völlige Zerstörung der Bruchsaler Innenstadt am 1. März 1945. Beschrieben wird auch die Angst vor Übergriffen französisch-marokkanischer Truppen.

Die historische Recherche habe vier Jahre gedauert, sagt Sand. Sie habe wissen wollen, was damals geschehen sei in ihrer Familie, berichtet sie. „Wenn die Großeltern über diese Zeit schweigen, weiß man, dass etwas nicht stimmt“, schildert die frühere Lehrerin ihre Wahrnehmung.

„Teilweise fand ich Zeitzeugen. Meine Großtante beispielsweise wollte aber nicht mit mir darüber reden“, berichtet sie. „Ich wollte meinen Großeltern eine Stimme geben, die über ihre Gefühle nicht reden konnten“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es sei wichtig, „dass man sich am Leben erfreuen kann“.

Der Roman enthalte einige autobiographische Elemente, die Geschichte im Ganzen habe es jedoch so nicht gegeben, sagt Sand. Bei ihrer Recherche habe sie sich gefragt, wie man trotz schwerer Schicksalsschläge das Schöne im Leben sehen könne. Bei Maria ist es der Glaube, der sie durchs Leben trägt. Das belegt sie mit zahlreichen Bibelzitaten in dem Buch.

Die Autorin, die in Graben-Neudorf lebt, bekennt sich zum christlichen Glauben. Aufgewachsen in einer evangelisch-katholischen Familie, verarbeitet die zweifache Mutter diese Erfahrung in „Im See der Himmel“. In der Geschichte lässt sie ausgerechnet die katholische Maria aus Süddeutschland sich in den evangelischen Michael aus Usedom verlieben. Früher sei Gläubigkeit normaler gewesen als heute, lässt Sand ihre Zuhörer in der Lesung wissen.

Als Schriftstellerin gehe für sie ein Jugendtraum in Erfüllung, sagt sie: „Ich wollte einen Roman schreiben, der Mut macht.“ Dem Leser möge „Im See der Himmel“ Ansporn sein, einen zweiten Blick auf sein „Mühlbach“, seine Geschichte, zu werfen.