Debatte über Aufnahme von russischen Deserteuren nimmt Fahrt auf

Politiker aus der Ampel-Koalition und der Opposition stimmen überein, dass russische Deserteure in Deutschland Schutz finden sollen. Wie das umgesetzt wird, ist noch nicht richtig klar. Kritiker sagen: Die Menschen müssen überhaupt kommen können.

Berlin, Düsseldorf (epd). Nach der Teilmobilmachung in Russland diskutiert die deutsche Politik über die Aufnahme von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Freitag in Berlin, Deutschland wolle den Menschen helfen und strebe Lösungen im Rahmen der Europäischen Union (EU) an. Es zeichne sich ab, dass es eine Fluchtbewegung aus Russland in Richtung Westen geben könne, sagte Hebestreit, weil viele Russen sich nicht an dem Krieg gegen die Ukraine beteiligen wollten. Das sei „erstmal ein gutes Zeichen“. Flüchtlingsorganisationen forderten die Regierung auf, russischen Deserteuren Wege zu öffnen, auf denen sie Deutschland oder EU-Länder überhaupt erreichen können.

Politikerinnen und Politiker aus der Ampel-Koalition und der Opposition sprachen sich für eine erleichterte Aufnahme aus. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte, Deserteure erhielten im Regelfall Schutz in Deutschland. „Wer sich dem Regime von Präsident Wladimir Putin mutig entgegenstellt und deshalb in größte Gefahr begibt, kann in Deutschland wegen politischer Verfolgung Asyl beantragen“, sagte sie der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Die Erteilung von Asyl sei jedoch eine Einzelfallentscheidung, in deren Rahmen auch eine Sicherheitsüberprüfung erfolge.

Die Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic sagte der „Rheinischen Post“ (Freitag): „Wer sich als Soldat an dem völkerrechtswidrigen und mörderischen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine nicht beteiligen möchte und deshalb aus Russland flieht, dem muss in Deutschland Asyl gewährt werden.“ SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte der Zeitung, allein die verschärften Strafen, die Menschen drohten, die sich der Einberufung entzögen, halte er nach geltender Rechtslage für einen Asylgrund.

Der Vizevorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Johann Wadephul, plädierte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Freitag) für eine erleichterte Aufnahme russischer Deserteure, verwies aber auf einen anderen Weg als das Asylverfahren: „Humanitäre Visa müssen jetzt großzügig und umfassend ausgelegt werden“, sagte er. Soldaten, die sich offen gegen das Putin-Regime stellten, „verdienen unsere Unterstützung“.

Demgegenüber erklärte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums, die humanitäre Aufnahme sei ein anderes Verfahren, über das bisher 438 Oppositionellen, Journalisten oder Menschenrechtlern ein Aufenthalt in Deutschland ermöglicht werde. Deserteure müssten das Asylverfahren durchlaufen. Grundsätzlich seien Desertion und die drohenden Repressalien ein Schutzgrund, dies werde aber in jedem Einzelfall geprüft.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl kritisierte die politische Debatte als „Scheindebatte“, da die Frage des Zugangs zu Asyl nicht angesprochen werde. Geschäftsführer Günther Burkhardt sagte, solange die EU-Staaten ihre Grenzen abriegelten und mit Pushbacks den Zugang verhinderten, hätten auch russische Deserteure keine Chance einzureisen. Burkhardt forderte deshalb, den flüchtenden Russen den Zugang zur humanitären Aufnahme zu eröffnen und entsprechende Visums-Anträge schnell zu bearbeiten.

Auch Menschenrechtler des Vereins „Connection“ in Offenbach forderten die Bundesregierung erneut auf, russischen Kriegsdienstverweigerern Schutz zu gewähren. „Bislang sollen nur Deserteure und Oppositionelle aus Russland geschützt werden“, kritisierte der Geschäftsführer von „Connection“, Rudi Friedrich. Der Verein setzt sich für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure ein. Friedrich schätzt, dass sich in den letzten sechs Monaten etwa 100.000 militärdienstpflichtige russische Männer einer möglichen Rekrutierung entzogen haben.

Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) mahnte ebenfalls Unterstützung für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Russland und der Ukraine an. Viele Menschen auf allen Seiten des Krieges würden sich durch Flucht dem Einsatz mit der Waffe entziehen, erklärte EAK-Geschäftsführer Wolfgang Burggraf. „Diese Menschen dürfen wir nicht im Stich lassen“, erklärte er.