Badischer Landesbischof: Nicht nur nach militärischen Lösungen suchen

Karlsruhe/Oslo (epd). Der badische evangelische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh hat kritisiert, dass bei Konflikten zwischen Ländern zu schnell nach militärischen Lösungen gesucht wird. "Wir suchen zu wenig nach politischen Lösungen, die an den Wurzeln von Ungerechtigkeit, Nationalismus oder Rassismus ansetzen", sagte Cornelius-Bundschuh am Donnerstag in Karlsruhe im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Am Sonntag erhält die "Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN)" den Friedensnobelpreis in Oslo. Zu den Mitgliedern gehört auch das Forum Friedensethik der badischen Landeskirche. 

Der Landesbischof kritisierte die Nato-Staaten, die weiter auf die Modernisierung ihrer nuklearen Waffensysteme setzten. Er forderte die Staatengemeinschaft auf, Atomwaffen grundsätzlich zu ächten, so wie die biologischen und die chemischen Waffen. "Atomwaffen haben heute keinen Sinn mehr, in einer Zeit mit neun, teils kleinen, Atommächten", sagte Cornelius-Bundschuh. Da seien Dynamiken im Spiel, die niemand kontrollieren könne. 

Er forderte die künftige Bundesregierung auf, eine neue Strategie zu entwickeln. Die Atomwaffenfrage betreffe Deutschland direkt, etwa durch die stationierten US-Atombomben in Büchel (Rheinland-Pfalz). Aber auch bei Produktion und Export von Rüstungsgütern seien Veränderungen nötig. Daher führe die Landeskirche Gespräche mit Politikern sowie mit baden-württembergischen Rüstungsfirmen. Ziel sei es, den Produktionsanteil der Firmen hin zu mehr zivilen Produkten zu verlagern. Zudem wären klarere Regeln zum Export von Kleinwaffen wünschenswert. "Die Politik muss sagen: wir wollen eine Umstellung", sagte Cornelius-Bundschuh.  

Die badische Landeskirche gilt innerhalb der Evangelischen Kirchen Deutschlands als Vorreiter in der Friedensarbeit. Nach dem Willen des Landesbischofs soll die Friedenspädagogik, die dazu anleitet, Gewalt fördernde Muster zu erkennen und zu überwinden, im evangelischen Profil künftig eine noch größere Rolle spielen.

Das Interview im Wortlaut:

epd: Die "Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN)" erhält am 10. Dezember den Friedensnobelpreis. Zu den ICAN-Mitgliedern gehört auch das Forum Friedensethik der Evangelischen Landeskirche in Baden. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie hörten, wer in diesem Jahr den Preis erhält? 

Cornelius-Bundschuh: Ich halte es für eine großartige Entscheidung, ICAN mit dem Friedensnobelpreis zu ehren. ICAN vertritt die Vision einer Welt ohne Atomwaffen. Sie haben heute keinen Sinn mehr, in einer Zeit, mit neun, teils kleinen, Atommächten. Ich denke, da sind Dynamiken im Spiel, die niemand kontrollieren kann. Was wäre denn, wenn ein Diktator plötzlich seine Atomwaffen einsetzt? Es macht doch überhaupt keinen Sinn, dann Atombomben zurückzuwerfen. Diese Waffen müssen grundsätzlich geächtet werden, so wie die biologischen und die chemischen Waffen.

ICAN hat mit seiner Arbeit einen entscheidenden Strategiewechsel eingeleitet. Bislang waren die Atommächte diejenigen, die die Politik bestimmten. Alle anderen hatten zu folgen. Jetzt haben wir mit ICAN eine zivilgesellschaftliche Bewegung, die maßgeblich daran beteiligt war, dass im Juli 122 Staaten in New York ein umfassendes Atomwaffenverbot beschlossen haben. Das heißt, diejenigen, die gegen Atomwaffen sind, setzen selbst Impulse. 

epd: Die Bundesregierung hat an den Verhandlungen zum UN-Vertrag nicht teilgenommen. Wie sehen Sie das?

Cornelius-Bundschuh: Ich bin ausgesprochen skeptisch, ob diese Entscheidung wirklich strategisch begründet ist, oder ob es nur um die Befürchtung geht, wenn wir aus der Nato-Linie ausscheren, verlieren wir an politischem Einfluss. Eine Abschreckungsstrategie macht heute keinen Sinn mehr. Da wird nur ein Begriff aus der Zeit des Kalten Krieges wiederholt. 

Inzwischen hat sich die politische Lage total verändert. Wie will die Bundesrepublik darauf reagieren? Ich halte es für sehr wichtig, dass die kommende Bundesregierung eine Strategie entwickelt, wie sie auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt voranschreiten will. Nicht zuletzt, weil uns die Atomwaffenfrage in Deutschland ja auch direkt betrifft, etwa durch die stationierten US-Atombomben in Büchel (Rheinland-Pfalz). 

epd: Die Atommächte haben an den Verhandlungen ebenfalls nicht teilgenommen. Welchen Wert hat das Abkommen dennoch?

Cornelius-Bundschuh: Es gibt ja seit 1970 den Atomwaffensperrvertrag. Aber da bewegt sich gar nichts; alle setzen auf die Modernisierung ihrer nuklearen Waffensysteme. Aber wozu? Hier müssten die Nato-Staaten dringend einen Impuls setzen. Sie könnten vereinbaren, innerhalb einer bestimmten, klar überschaubaren Zeit das Atomwaffenpotenzial von 15.000 Exemplaren zu halbieren und dann ganz darauf zu verzichten. Solche Schritte wären aus meiner Sicht nötig, für Waffen, die man sowieso nicht ernsthaft einsetzen kann.

Bislang haben Staaten und Gesellschaften sehr viel Geld dafür ausgegeben, militärische Lösungen für Konflikte zu suchen. Dabei kenne ich bis auf den Kosovo kein Beispiel aus den vergangenen 30 Jahren, in denen eine militärische Intervention wirklich hilfreich in einem Konflikt war. Wir müssen mehr nach wirklichen Lösungen suchen; nach Wegen, die langfristig helfen und das heißt, die Menschen, die verfeindet sind, miteinander in Kontakt bringen, so dass sie friedliche, zivile Lösungen für ihre Konflikte finden. 

epd: Die badische Landeskirche gilt innerhalb der Evangelischen Kirchen Deutschlands als Vorreiter in der Friedensarbeit. Welchen Einfluss hat der Preis auf ihre Arbeit?

Cornelius-Bundschuh: Wir hatten als erste Landeskirche die Bundesregierung gebeten, an den Verhandlungen über das UN-Atomwaffenverbot teilzunehmen. Als Kirche haben wir immer das Interesse, Brücken zu bauen und nach Versöhnungsmöglichkeiten zu suchen, damit Menschen in Frieden und Gerechtigkeit leben können. Kirche hat die Aufgabe, sich in diesen Fragen auch öffentlich zu positionieren. 

Der Friedensnobelpreis ist ein Impuls weiter daran zu arbeiten, wie wir zu einem gerechten Frieden kommen können. In der Friedensarbeit sind wir sehr breit aufgestellt. So fördert das Forum Friedensethik Diskussionen über friedensethische Grundsatzfragen. Die Hauptaufgabe unserer "Arbeitsstelle Frieden" ist es, den friedensethischen Prozess der Landeskirche zu gestalten. 

Mir selbst ist auch die Arbeit mit Freiwilligen sehr wichtig. Über unseren "Freiwilligen Ökumenischen Friedensdienst" senden wir jedes Jahr 20 bis 40 Jugendliche für ein Jahr ins Ausland. Egal, ob sie in Israel-Palästina, Rumänien oder in Sizilien waren, sie kommen immer mit einem geschärften Bewusstsein dafür zurück, wie Konflikte gelöst werden können, für die es keine einfachen Lösungen gibt. 

epd: Was kann die Kirche in Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten bewegen?

Cornelius-Bundschuh: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Friedenspädagogik, die Erkennung und Überwindung von gewaltfördernden Mustern, im evangelischen Profil künftig noch eine viel größere Rolle spielen wird. Die Friedenspädagogik ist ein wichtiges Element im Religionsunterricht. In den Schulen werden wir "Streitschlichter-Projekte" weiter fördern und an den Universitäten Forschungsprojekte zur Friedensförderung. Etwa zur Effizienz von ziviler Konfliktbearbeitung. 

epd: Wie sieht es mit Politik und Wirtschaft aus?

Cornelius-Bundschuh: Wir versuchen mit Politikern sowie mit baden-württembergischen Firmen ins Gespräch zu kommen: Wie können wir einen Weg zu einem wirklichen Frieden finden? Dies beinhaltet vor allem kleine Schritte. Viele der Rüstungsunternehmen produzieren nicht nur Waffen, sondern auch andere Produkte für den Alltag. Denkbar wäre, dass sie in einem ersten Schritt ihren Produktionsanteil hin zu mehr zivilen Produkten verlagern. Zudem wären klarere Regeln zum Export von Kleinwaffen wünschenswert. Bislang wird kaum kontrolliert, was damit passiert. Die Politik muss sagen, wir wollen eine Umstellung.  

epd: Es gibt Menschen, die glauben, dass eine Welt ohne Waffen nicht möglich ist. Was sagen Sie denen?

Cornelius-Bundschuh: Ich glaube nicht, dass wir eine Welt ohne Konflikte bekommen werden. Der biblische Realismus spricht auch eine Wahrheit aus: es gibt diese Bosheit, es gibt dieses Interesse, die eigenen Wünsche unbedingt durchzusetzen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht in der Lage wären diesen Prozess politisch zu steuern, einzuhegen und ein ziviles Miteinander zu fördern. 

Bisher geben wir das Geld meistens dafür aus, in Konflikten militärische Lösungen zu suchen. Meistens eskalieren sie dadurch eher. Wir suchen zu wenig nach politischen Lösungen, die an den Wurzeln von Ungerechtigkeit, Nationalismus oder Rassismus ansetzen. Um multiethnische Konflikte zu lösen, müssen wir die Menschen miteinander in Kontakt bringen und daran arbeiten. 

Wir als Kirche kommen nicht darum herum, die "Anstößigkeit" von Waffen immer wieder ins Gespräch zu bringen. Wer Feindesliebe predigt, der trifft nicht auf Gegenliebe. Es gibt aber keine Alternative zum Frieden. Der Philosoph Albert Schweitzer hat in der Frage der Atomwaffen mal davon gesprochen, dass ein "gigantischer Sprung zum Frieden" nötig ist. Das ist meiner Meinung nach ein sehr passendes Bild. Wir werden uns bewegen, wir werden springen müssen, damit die Erde und die Menschheit leben kann.