Aus dem Geiste Immanuel Kants

Hamburg/Frankfurt a.M. (epd). Der "Hinschenhof" in Alsterdorf im Norden Hamburgs ist ein traditionelles norddeutsches Spitzdachhaus. Vor 70 Jahren stellt sein Eigentümer, der Weingroßhändlers Eduard Buhbe, den Hof für eine Preisverleihung zur Verfügung: Der nach Norwegen emigrierte jüdische Schriftsteller Max Tau (1897-1976) erhält am 3. Juni 1950 den ersten "Friedenspreis der Verleger". 

Initiiert hat die Verleihung ein Freund der Familie Buhbe, Hans Schwarz. Gemeinsam mit 15 deutschen Verlegern und Buchhändlern hat der nationalkonservative Schriftsteller einen Preis gestiftet, der sich auf das Werk "Zum ewigen Frieden" des Philosophen Immanuel Kant (1724-1804) berief. Er soll humanistisches Gedankengut wieder in die Gesellschaft einbringen. Daraus wurde der "Friedenspreis des Deutschen Buchhandels". Seit 1950 wird er in der Frankfurter Paulskirche verliehen, dem Tagungsort der Nationalversammlung von 1848.

Der erste Preisträger Max Tau war einst Cheflektor des Bruno-Cassirer-Verlags in Berlin gewesen. Obwohl er verfolgt wurde und nächste Verwandte ermordet worden waren, setzte er sich für eine Verständigung mit Deutschland ein. 1948 veröffentlichte Tau ein Buch mit dem Titel "Glaube an den Menschen". Darin hieß es: "Ich will von Rache nichts wissen. Rache ist anmaßend. Und mit den Worten des jiddischen Autors Moses Katz: 'Ich bete, dass Gott Ihr Volk aufklären und es auf den Weg des Friedens und des Rechts leiten möge.'"

Ursprünglich sollte der Preis am 22. April, dem Geburtstag Kants, verliehen werden. So rasch aber konnten die Medien nicht reagieren: Denn Adolf Grimme hielt die Laudatio, der Intendant des Nordwestdeutschen Rundfunks. Und der wollte die Preisverleihung im Radio ausstrahlen lassen. So wurde der Friedenspreis zu einem unerwarteten öffentlichen Erfolg. Friedrich Wittig, später Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, machte schon im Jahr darauf aus der privaten Stiftung eine Sache aller deutschen Verleger und Buchhändler.

Der Initiator wollte den Preis im jeweiligen Heimatland des Preisträgers vergeben lassen. Diese Pläne übernahm der Börsenverein nicht. Das wäre schon im nächsten Jahr auch schwierig geworden: Preisträger Albert Schweitzer, lebte im Urwald von Französisch-Äquatorialafrika, heute Gabun. Im September 1951 erhielt er den zweiten Friedenspreis in der Frankfurter Paulskirche, Bundespräsident Theodor Heuss hielt die Laudatio.

Martin Schulte, heute Referent für den Friedenspreis im Börsenverein, kennt die Hintergründe und plaudert gern aus dem Nähkästchen. Er weiß auch, dass der Neffe des Preisgründers Schwarz seit einigen Jahren zur Preisverleihung in die Paulskirche kommt. "In den 50er Jahren hat man sich nicht so gerne an Schwarz erinnert", sagt Schulte. Schwarz wird dem Umfeld der "Konservativen Revolution" der 20er Jahre zugezählt, die als ein Wegbereiter des Nationalsozialismus gilt. "Dann hat ihn Wittig rehabilitiert", erklärt Schulte. Schwarz habe zeigen wollen, dass Konservativismus nicht identisch sei mit Nazismus.

Große Namen zieren die Liste der Friedenspreisträger und ihrer Laudatoren. Immer wieder haben Bundespräsidenten die Laudatio gehalten, Richard von Weizsäcker gleich zweimal: für Octavio Paz 1984 und für Friedrich Schorlemmer 1993. Roman Herzog hat 1995 die Rede für Annemarie Schimmel gehalten. Joachim Gauck ehrte 2010 den israelischen Autor David Grossman, damals war er allerdings noch nicht Bundespräsident. "Der Bundespräsident ist jetzt nur noch zu Gast bei uns, wenn überhaupt", sagt Schulte. 

Stets spiegelte die Preisverleihung den Zeitgeist wider, etwa als Preisträger Vaclav Havel 1989 kurz vor der Samtenen Revolution nicht aus der Tschechoslowakei ausreisen durfte. Immer wieder gab der Friedenspreis Anlass zu großen Debatten. Etwa als die Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel zu viel Verständnis für die Muslime zeigte, die sich über Salman Rushdies "Satanische Verse" erregten. Oder als 1998 Martin Walser in seiner Rede über den Umgang mit der deutschen Geschichte im Zusammenhang mit Auschwitz von einer "Moralkeule" sprach.

Dabei formuliert das Statut eindeutig: "Die Stiftung dient dem Frieden, der Menschlichkeit und der Verständigung der Völker." Verliehen werde der Preis an "eine Persönlichkeit, die in hervorragendem Maße vornehmlich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat." Unter den Preisträgern sind nur elf Frauen, die erste war die Dichterin Nelly Sachs 1965.

Über die Vergabe entscheidet der Stiftungsrat. Ihm gehören neben dem Vorsteher des Börsenvereins noch zwei Vorstandsmitglieder und sechs weitere Juroren an, die vom Vorstand des Börsenvereins für drei Jahre gewählt werden. Etwa 5.000 Mitglieder des Börsenvereins finanzieren den Preis über ihre Mitgliedsbeiträge. Mit 25.000 Euro sei er zwar niedriger dotiert als der Büchnerpreis, rechnet Schulte vor, dafür verkauften sich aber die Bücher der Preisträger besser.

Erst Mitte Juni werde die Jury den diesjährigen Preisträger oder die diesjährige Preisträgerin bekanntgegeben. Wie sich der Corona-Ausnahmezustand auf die Vergabe auswirken werde, sei noch ungewiss. Traditionell wird der Preis zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse vergeben. "Wir führen Gespräche mit der Stadt Frankfurt", sagt Schulte. Und was das Jubiläum des Friedenspreises angeht: Gefeiert werde so oder so erst in fünf Jahren, beim 75.