Arzt in Gaza: "Auch wir haben rote Linien"

Berlin, Khan Yunis (epd). Nach dem israelischen Luftangriff auf Mitarbeitende einer Hilfsorganisation in Gaza haben viele Helferinnen und Helfer laut dem Arzt Hareen de Silva Angst vor weiteren Attacken. Noch sei die Berliner Hilfsorganisation Cadus, für die de Silva als Einsatzleiter arbeitet, in der Lage, weiterzumachen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Aber auch wir haben rote Linien“, betonte der Londoner Allgemeinmediziner. Werde einer ihrer Mitarbeitenden getötet, würde die Organisation ihre Aktivitäten pausieren und überlegen, diese ganz einzustellen.

Der tödliche Angriff auf sieben Mitarbeitende der Hilfsorganisation World Central Kirchen (WCK) ist laut de Silva ein großer Schock für die humanitären Helferinnen und Helfer. „Es macht einem wirklich klar, wie zerbrechlich das Leben ist. Das könnte jedem von uns passieren“, sagte er. De Silva, der einen der getöteten WCK-Helfer persönlich kannte, forderte eine gründliche Aufklärung des Angriffs durch die israelische Armee.

Derzeit arbeiten 13 internationale und fünf palästinensische Mitarbeiter für Cadus in Khan Yunis, der zweitgrößten Stadt im Gaza-Streifen. Gemeinsam mit dem Palästinensischen Roten Halbmond betreiben sie eine Anlaufstelle für medizinische Nothilfe. Glücklicherweise habe es bisher keine Attacken oder Drohungen gegen Cadus-Mitarbeitende gegeben, sagte de Silva. Trotzdem habe die Organisation die Sicherheitsvorkehrungen nach dem Angriff auf die WCK-Helfer erhöht. Die Einsätze des Teams würden bereits um 17 Uhr enden. Danach dürfe aus Sicherheitsgründen niemand mehr die Unterkunft verlassen. Ebenso würden alle Bewegungen des Teams an ein UN-System gemeldet.

Die Situation in Gaza bezeichnete de Silva, der bereits in Syrien, im Irak und der Ukraine im Einsatz war, als ein „humanitäres Desaster“. Es schmerze ihn, zu sehen, wie weitverbreitet das Leiden in dem palästinensischen Gebiet sei. Überall sehe man unbegleitete Kinder, Müll und Exkremente in den Straßen. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis Infektionskrankheiten wie Hepatitis A sich in Gaza verbreiten würden, sagte de Silva.

Der Einsatz in Gaza mache den humanitären Helferinnen und Helfern auch psychisch sehr zu schaffen, sagte der britische Arzt. Manchmal versorgen de Silva und seine Kolleginnen und Kollegen nach eigenen Angaben nur kleinere Platzwunden, an anderen Tagen werden Dutzende Menschen, die durch Schüsse oder Raketenangriffe verwundet wurden, zu ihnen gebracht. Der Mediziner erinnert sich an einen Fall, in dem fünf Kinder von einer Drohne beschossen worden sind. Das jüngste war laut de Silva drei Jahre alt gewesen. „Das ist nicht leicht, solche Fälle zu verarbeiten. Aber wir arbeiten weiter, trotz solcher traumatischen Erlebnisse“, sagte der Arzt.