Angst vor Hunger und Unruhen

Bamako (epd). Ein Kunde wuchtet Zementsäcke in den Kofferraum seines Autos. An diesem Morgen ist es ungewöhnlich ruhig in diesem Viertel der malischen Hauptstadt Bamako, in dem vor allem Baubedarf verkauft wird. „Alles ist sehr teuer geworden, auch Zement“, erklärt der Kunde. Früher habe der Sack höchstens 4.500 CFA-Francs (knapp 6,90 Euro) gekostet, jetzt seien es 6.500. Er möchte sein Haus fertig bauen, aber ob er dafür noch genug Geld hat, ist fraglich.

Die wirtschaftliche Lage in Mali ist verheerend. Die Menschen leiden unter den Auswirkungen von Dürren, Konflikten, den Folgen der Corona-Pandemie und Wirtschaftssanktionen der Nachbarländer gegen die militärische Übergangsregierung. Preissteigerungen um gut 40 Prozent sind die Folge, was die ohnehin schwierige Lage der Bevölkerung massiv verschlechtert. „Hier bei uns läuft nichts mehr“, klagt der Zementkäufer, der eigentlich Zollbeamter ist und aus Angst vor Repressalien durch das Militär seinen Namen nicht nennen möchte.

Die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas hat wirtschaftliche und diplomatische Sanktionen gegen Mali verhängt, nachdem die Übergangsregierung Anfang des Jahres angekündigt hat, bis zu fünf Jahren an der Macht bleiben zu wollen. Seitdem sind unter anderem die Grenzen zu den Ecowas-Staaten geschlossen und die malischen Vermögenswerte eingefroren. Auch die EU belegte einzelne Regierungsmitglieder mit Sanktionen. Das Militär hatte im August 2020 nach monatelangen Protesten der Bevölkerung die korrupte Regierung abgesetzt und wenige Monate später erneut geputscht.

Von den Handelsbeschränkungen ausgenommen sind nur Lebensmittel und Medikamente. Aber auch die wurden wegen der erhöhten Treibstoffpreise weltweit teurer, nur eine von vielen Auswirkungen des Ukraine-Krieges. Und das sei noch nicht alles, beklagt der Zementkäufer. Seinen Beruf als Zollbeamter könne er wegen der Grenzschließungen nicht ausüben. Die Regierung habe ihn freigestellt. Seitdem lebt er mit seiner Familie von ihren Ersparnissen, doch davon ist schon fast nichts mehr übrig.

Auch viele junge Leute wüssten nicht, wie es weitergehen soll. „Man sieht sie nur rumsitzen und Tee trinken“, sagt der Mann. Er habe Angst vor dem, was geschehen werde, wenn die Ecowas die Sanktionen nicht bald aufhebe. „Dann wird es hier Unruhen geben, aber das traut sich ja niemand zu sagen.“ Tatsächlich ist in Bamako zurzeit kaum Kritik an den Machthabern unter Präsident Assimi Goïta zu hören. Der Wind ist rauer geworden: Arbeitsgenehmigungen für ausländische Journalistinnen und Journalisten sind ausgesetzt, die französischen Sender RFI und France 24 wurden verboten.

Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es befindet sich zudem seit 2012 in einer schweren politischen Krise, die Sicherheitslage ist extrem instabil. Auch herrscht eine lang anhaltende Dürre. „Die Situation ist furchtbar, wahrscheinlich die schlimmste seit fünf oder sechs Jahren“, sagt Francesco de Pasquale, der das Büro der deutschen Welthungerhilfe in Mali leitet. 7,5 Millionen der knapp 21 Millionen Malierinnen und Malier seien bereits auf Hilfe angewiesen. Für etwa zwei Millionen von ihnen sei die Lage so kritisch, dass sie bald nicht mehr genug zu essen haben könnten.

De Pasquale rechnet mit einer weiteren Verschlimmerung auch infolge des Ukraine-Kriegs: Schon im vergangenen Jahr reichten die Mittel nur für 40 Prozent des Bedarfs an humanitärer Hilfe. In Zukunft könnte das Geld noch knapper werden, weil die Not in der Ukraine alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, befürchtet der Helfer. Zugleich reicht das Geld der Organisationen wegen der Preissteigerungen für immer weniger. Um die lokale Produktion zu unterstützen, versuche die Welthungerhilfe zwar, möglichst viel vor Ort zu beschaffen, sagt de Pasquale. Aber es sei nicht einfach, die beste Lösung zu finden: „Wenn große Abnehmer wie die Regierung, das UN-Welternährungsprogramm oder Hilfsorganisationen vor Ort einkaufen, treibt das natürlich die Preise weiter in die Höhe.“

Dazu kommt noch die Gewalt - besonders im eigentlich sehr fruchtbaren Zentrum des Landes. Verschiedene Konflikte überlagern sich dort, darunter Machtkämpfe islamistischer Gruppen, die die Bevölkerung angreifen. „Im vergangenen Herbst haben sie unsere Reisfelder angezündet“, erzählt der Bauer Mamadou Koulibaly. Er lebt im Dorf Kourouma, etwa 320 Kilometer von Bamako entfernt. „Sie haben gewartet, bis die Ernte reif war. Dann haben sie ein Feld nach dem anderen mit Hilfe von Benzin in Brand gesetzt.“ Als Grund vermutet der alte Mann: „Sie wollen die Bevölkerung aushungern, damit die Menschen gezwungen sind, sich ihnen anzuschließen.“ Der Hunger ist in Mali wohl auch eine Waffe des Krieges.