Angst vor der Rückkehr der Taliban

Dubai/Kabul (epd). Bis zum Schluss war in Kabul gehofft worden: Doch nun steht fest, die USA werden ihre Truppen bis zum 11. September aus Afghanistan abziehen - ohne Bedingungen oder Einschränkungen, ohne Wenn und Aber. Damit endet nach zwei Jahrzehnten der längste Krieg in der Geschichte der USA. Präsident Joe Biden wollte den Abzugstermin im Lauf des Mittwoch offiziell bekanntgeben.

Großbritannien kündigte bereits im Einklang mit den USA ebenfalls den Abzug seiner Soldaten vom Hindukusch an. Auch Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) rechnet mit dem Abzug der bis zu 1.300 Bundeswehrsoldaten und der anderen Nato-Truppen. "Wir haben immer gesagt: ?ir gehen gemeinsam rein, wir gehen gemeinsam raus", bekräftigte die Ministerin im ARD-Morgenmagazin.   

In Afghanistan erinnerte Parlamentspräsident Mir Rahman Rahimi aber an die bitteren Jahre des Bürgerkriegs nach dem Abzug der Sowjetunion 1989, als Tausende ums Leben kamen. "In der augenblicklichen Situation ist der Abzug der ausländischen Soldaten nicht fair", protestierte er. Und der afghanische Parlamentarier Nahid Farid appellierte laut dem TV-Sender Tolo News an die Taliban: "Es gibt keinen Grund für Gewalt in Afghanistan. Die Taliban müssen einem Waffenstillstand zustimmen." Verhandlungen zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung verliefen jedoch bislang im Sand. Hoffnungen auf einen Friedensdeal zwischen den beiden Parteien gibt es kaum. 

Gewalt ist Alltag. Die UN-Mission in Afghanistan (Unama) meldete am Mittwoch erneut ernüchternde Zahlen: Danach wurden in den ersten drei Monaten des Jahres 573 Zivilisten getötet und 1.210 verletzt - 29 Prozent mehr als im ersten Quartal 2020. 

Allein bei Anschlägen der radikal-islamischen Taliban am Dienstag, dem ersten Tag des muslimischen Friedens- und Fastenmonats Ramadan, wurden 23 Soldaten der afghanischen Armee getötet und Dutzende verletzt. Präsident Aschraf Ghani und der Leiter des afghanischen Friedensrates, Abdullah Abdullah, appellierten erneut an die Taliban, alle Kriegshandlungen einzustellen und zu verhandeln.

Aber für die Taliban hat der Verhandlungstisch ohnehin stets dafür hergehalten, militärisch vollendete Tatsachen zu schaffen. Neben massiven Angriffen auf die afghanische Armee und Polizei haben die Aufständischen die letzten Monate genutzt, um systematisch ihre Gegner und Kritiker aus dem Weg zu räumen. Kaum ein Tag verging, an dem nicht Frauenrechtlerinnen, Parlamentarier, Journalisten und Staatsangestellte ermordet wurden. 

Daher wundert es auch nicht, dass die Taliban bereits deutlich gemacht haben, nicht an der geplanten Istanbul-Konferenz ab 24. April teilnehmen zu wollen, auf der die Türkei, Katar und die Vereinten Nationen versuchen wollten, Vertreter der Taliban und der afghanischen Regierung zu Verhandlungen über die Zukunft des Landes zusammenzubringen. Das letzte Kapitel der US-Militärpräsenz in Afghanistan hört sich damit an wie ein Triumphmarsch, der die Rückkehr der Taliban begleitet, die 1996 ein Schreckensregime errichtet hatten, bis sie im Oktober 2001 durch eine US-geführte Militärinvasion gestürzt wurden.

Der im Februar 2020 zwischen der US-Regierung unter Ex-Präsident Donald Trump geschlossene Friedensdeal mit den Taliban sah einen Abzug aller amerikanischer Soldaten bis Mai 2021 vor. Trumps Nachfolger Joe Biden hatte kaum andere Optionen. Inzwischen sind nur noch rund 2.500 US-Soldaten am Hindukusch. Trump hatte kurz vor Ende seiner Amtszeit hier Tatsachen geschaffen. 

Nun wird der US-Abzug statt bis Mai bis zum 11. September dauern - dem symbolträchtigen Jahrestag des Terrorattentates auf die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York 2001. Damit endet eine Ära.