Angeklagt wegen Pazifismus

Mainz (epd). Möglicherweise ist es für Ruslan Kotsaba die vorerst letzte Auslandsreise: Vor überschaubarer Zuhörerzahl erzählt der ukrainische Journalist bei einem Besuch in Mainz vom Krieg in seinem Heimatland und von Repressalien gegen kritische Journalisten und Friedensaktivisten. Kotsaba, ein kräftiger Mann mit sanftem Blick und akkurat gestutztem Bart, weiß, wovon er spricht: "Wäre es nach dem Staatsanwalt gegangen, hätte ich meinen Vortrag hier erst in 13 Jahren gehalten." Wegen eines Aufrufs, den "Brudermord" in der Ukraine zu beenden, saß der zweifache Vater bereits anderthalb Jahre in Untersuchungshaft. Nun beginnt ein neues Strafverfahren.

Allzu optimistisch klingt der 52-Jährige nicht: Hass sei in der Ukraine zurzeit die Grundlage aller staatlichen Entscheidungen. "Jeder, der versucht, kritisch über den Krieg zu berichten, wird als Moskauer Agent diffamiert", lautet sein Fazit. Eine Friedensbewegung gebe es nicht. Die Staatsführung versuche, alle derartigen Initiativen "mit Stumpf und Stiel auszumerzen". Selbst die Kirchen täten nur wenig für ein Ende des Blutvergießens und sammelten stattdessen Spenden für die Armee.

Seit mittlerweile fast vier Jahren schreibt und redet Kotsaba gegen den Krieg an, in dem offiziell schon mehr als 10.000 Menschen ums Leben kamen. Für einen landesweiten Fernsehsender war er 2014 in die Donbass-Region aufgebrochen, als nach dem Umsturz in Kiew die Kämpfe im Osten des Landes ausbrachen. Er berichtete von beiden Seiten der Frontlinie und ließ sich als erster westukrainischer Journalist offiziell von den prorussischen Separatisten akkreditieren. Während Kiew von einem Kampf gegen Terroristen und einer russischen Invasion sprach, sah Kotsaba in den Kämpfern überwiegend seine eigenen Landsleute.

Anfang 2015, das erste Minsker Abkommen zur Beilegung des Konflikts war gerade im Geschützdonner untergegangen, veröffentlichte er einen persönlichen Aufruf: Alle Ukrainer sollten den Wehrdienst verweigern. Das bei einem Spaziergang mit der Handykamera aufgenommene Video stellt er ins Internet. Für ihn sei das ein "Akt der Verzweiflung" gewesen, sagt der Reporter im Rückblick, für die Staatsmacht wohl der sprichwörtliche "letzte Tropfen". Kotsaba wurde verhaftet und wegen Behinderung der Streitkräfte und Landesverrats angeklagt. 

In erster Instanz erhielt er dreieinhalb Jahre Gefängnis, ein Berufungsgericht sprach ihn frei, doch sein Freispruch wurde vom Obersten Gerichtshof der Ukraine einkassiert. Nun beginnt das Verfahren von vorne. Kotsaba rechnet damit, dass er bereits bei der Vorverhandlung am 31. Januar erneut verhaftet werden könnte. Dennoch will er sich dem Prozess stellen: "Ich bin verpflichtet, für meine Taten und Worte Rechenschaft abzulegen." Ins Exil zu gehen, komme für ihn nicht infrage. Ohnehin würde er im Westen kein politisches Asyl erhalten, ist er sich sicher. 

Dass Kotsaba nur verhältnismäßig wenig Rückhalt erfährt, liegt vermutlich daran, dass er zwischen allen Fronten sitzt. Für die Rechtsextremisten und die prowestliche Kiewer Führung ist er wegen seiner pazifistischen Überzeugungen zum Verräter geworden. Zugleich positioniert er sich als ukrainischer Patriot, weshalb ihm auch bei linken und prorussischen Kräften Argwohn entgegenschlägt. In Mainz verblüfft er die zu seinem Vortrag erschienenen Anhänger der Friedensbewegung damit, er habe einst eine Ausstellung über den ukrainischen Befreiungskampf aufgebaut. "Ich war mal Leiter eines Bandera-Museums", erzählt er.

Der ukrainische Nationalistenführer Stepan Bandera (1909-1959) ist für die Mehrheit im Westen der Ukraine ein Nationalheld, im Osten des Landes sehen die meisten in ihm einen Nazi-Kollaborateur. Der Umgang mit der historischen Reizfigur gilt vielen als Symbol für die Spaltung der Ukraine. Kotsaba aber glaubt, dass der Streit um das "Phantom" Bandera und viele andere Themen künstlich angefacht werden und dass sein Land wieder zusammenfinden könnte, irgendwann einmal: "99 Prozent der Ukrainer haben die gleichen Wünsche nach Frieden, familiärem Glück, ein wenig Wohlstand und einem Land ohne Korruption."