Afghanistans Hazaras fürchten die Rückkehr der Taliban

Dubai/Kabul (epd). Eigentlich hätte Zainab Musawi demnächst nach Japan reisen sollen. Die 26-jährige Informatikerin aus Kabul hatte ein Stipendium, um ihre Masterarbeit dort zu schreiben. Doch Zainab Musawi wurde Mitte Juni bei einem Anschlag auf einen Mini-Bus getötet. Sie fuhr damit durch ihr Wohnviertel Dasht-e-Barchi im Westen der afghanischen Hauptstadt. Fast zeitgleich explodierte im gleichen Viertel eine weitere Bombe in einem Mini-Bus. Mindestens sieben Menschen starben bei dem Doppelattentat.

In Dasht-e-Barchi leben überwiegend Hazaras, eine ethnische Minderheit in Afghanistan, die mehrheitlich schiitisch ist, während die meisten Afghanen Sunniten sind. Hazaras machen etwa neun Prozent der afghanischen Bevölkerung von rund 36 Millionen aus. Seit Beginn des Rückzugs der internationalen Truppen aus dem Land am 1. Mai nimmt die Gewalt gegen sie deutlich zu. Manche warnen bereits vor einem Völkermord.

Anfang Mai kamen in Dasht-e-Barchi mindestens 85 Schülerinnen bei einem Attentat auf ihre Bildungseinrichtung ums Leben. Sie waren alle Hazaras. Vor einem Jahr starben bei einem Anschlag auf eine Frauenklinik im Viertel 24 Menschen. Die drei Attentäter erschossen kaltblütig Hebammen, Neugeborene, Schwangere und gerade Gebärende.

Seit sich die USA und die Nato aus Afghanistan zurückziehen, vergeht kein Tag ohne Bombenattentate, Morde oder Geiselnahmen. Die Taliban sichern sich Woche um Woche die Kontrolle über weitere Distrikte und Städte, so wie die strategisch wichtige Stadt Kundus im Norden des Landes.

Die Rückkehr der Taliban an die Macht scheint nur noch eine Frage der Zeit. Währenddessen wächst die Angst, die islamischen Extremisten könnten Afghanistan wieder so regieren wie in den 90er Jahren. Bereits jetzt häufen sich die Attentate auf Frauen, Menschenrechtler, Medienschaffende, Richterinnen und Richter, Personal von Hilfsorganisationen, aber auch Hazaras. Angriffe auf schiitischen Hazaras sind zum Teil religiös motiviert: Die Taliban sind sunnitisch. Gleichzeitig besteht zwischen Taliban und Hazaras auch eine politische Gegnerschaft, die eine längere Geschichte hat.

Zu Beginn des Taliban-Regimes 1996 erklärten die Extremisten den Gotteskampf, oder Dschihad, gegen die Hazara-Bevölkerung. „Hazaras sind keine Muslime, ihr dürft sie töten“, soll Taliban-Anführer Mullah Abduhl Nian seine Leute aufgerufen haben. Tausende von ihnen starben in Massakern Ende der 90er Jahre, besonders im Nordafghanistan. Viele Angehörige der Gemeinschaft kämpften auf der Seite der Nord-Allianz gegen die Taliban.

„Unter denjenigen, die am meisten durch eine Machtübernahme der Taliban in Afghanistan gefährdet wären, sind die mehrheitlich schiitischen Hazaras, die bereits jetzt regelmäßig in Anschlägen verletzt und getötet werden“, warnte der Leiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Kenneth Roth jüngst. Auch Afghanistans Menschenrechtskommission zeigt sich alarmiert. „Unsere Einschätzung ist, dass die Schiiten und Hazaras in Afghanistan Opfer eines Genozids werden und dass dies stärker untersucht werden muss“, sagte die Leiterin der Kommission, Shahrzad Akbar, laut dem TV-Sender Tolo News. Seit Mitte Mai habe es in Kabul mindestens fünf Attentate in von Hazaras bewohnten Gebieten gegeben.

Eltern und Angehörige der Anfang Mai getöteten Schülerinnen fordern, dass die Vereinten Nationen die Hintergründe des Anschlags untersuchen. „Die Attentäter sind immer noch nicht gefunden worden. Daher verlangen wir eine Prüfung durch eine angesehene internationale Instanz“, erklärte die Lehrerin Sabar Gul. Doch schon das Attentat auf die Frauenklinik vor einem Jahr wurde nie wirklich untersucht.