Afghanistan-Veteranen zwischen Trauma und Wut

Frankfurt a.M. (epd). Die Albträume sind zurück, die Panik und eine bodenlose Traurigkeit: Andreas Eggert geht es wieder schlechter - wie vielen, die für die Bundeswehr in Afghanistan waren. „Die Bilder und auch die Traumata kommen aktuell wieder hoch“, sagt der Oberstabsfeldwebel a.D., der für den Bund Deutscher Einsatzveteranen traumatisierte Kriegsrückkehrende dabei unterstützt, im Leben zurechtzukommen. Zu den Erinnerungen kämen bei den Veteraninnen und Veteranen auch „sehr viel Wut über den Truppenabzug und die viel zu späte Evakuierung“.

Gerade steht Eggerts Telefon kaum still. „Die Leute sind am Ende, weil der Einsatz mit all seinen Opfern, auch den persönlichen, umsonst war“, sagt der 45-jährige Bonner, der aus sieben Afghanistan-Einsätzen eine Posttraumatische Belastungsstörung mitbrachte. „Statt Frieden herrschen jetzt wieder die Taliban.“ Viele machten sich zudem große Sorgen um afghanische Freunde, die nicht gerettet wurden. Eggert selbst konnte einem Dolmetscher und dessen Familie zur Ausreise verhelfen, „ein gutes Gefühl, aber es ist eben auch nur eine bedrohte Familie von vielen“.

Etwa 90.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr waren in den vergangenen 20 Jahren in Afghanistan stationiert, so die Zahlen des Potsdamer Instituts für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. An Auslandseinsätzen beteiligt waren seit den ersten bewaffneten Bundeswehr-Einsätzen in den 1990er Jahren rund 300.000 Soldatinnen und Soldaten. Nicht wenige von ihnen kehrten krank zurück. „Seelisch verwundet“, nennt es Bernhard Drescher, Vorsitzender des Veteranenverbandes. Etwa 20 Prozent der Einsatzkräfte bringen psychische Krankheiten aus den Kriegsgebieten mit, zeigten bereits im Jahr 2015 Dokumente des Verteidigungsausschusses im Bundestag.

„Die große Welle aus Afghanistan kommt noch auf uns zu“, sagt Drescher, Oberstleutnant a. D. und selbst durch einen Mazedonien-Einsatz verletzt. „Auch unter den Beteiligten an Marine-Einsätzen im Mittelmeer wird es noch viele geben, die mit den aufgequollenen Kinderleichen aus den Flüchtlingsbooten nicht zurechtkommen.“

Die Inkubationszeit ist lang, fünf Jahre, „manchmal mehr als zehn“, sagt Drescher. Krankheiten und Symptome sind zudem verschieden: Betroffene leiden an Ängsten, Depressionen, Konzentrationsproblemen, Sucht „und generell Anpassungsstörungen, weil sie über Wochen und Monaten Tag und Nacht im Ausnahmezustand gelebt haben“. Nun stellten sich die Rückkehrenden aus Afghanistan „natürlich“ die Sinnfrage: Wofür das alles? „Das ist für viele retraumatisierend“, sagt Drescher.

Sein Verband berät und betreut Betroffene und ihre Familien - oft jahrelang. Denn: Viele der im Ausland Eingesetzten waren - und sind - nur auf Zeit bei der Bundeswehr verpflichtet. „Wer dann zehn Jahre nach Dienstende krank und berufsunfähig wird, ist Zivilist und hat es sehr schwer, eine Verletzung als Soldat überhaupt nachzuweisen und anerkannt zu bekommen“, sagt Drescher. „Diese Betroffenen stehen auch vor einem sozialen Nichts.“ Denn in Deutschland gibt es anders als in Ländern wie den USA, aber auch Dänemark oder den Niederlanden kein Veteranenkonzept, das soziale Hilfen, Zuständigkeiten und den Betroffenenkreis festlegt. Das kritisiert der Veteranenverband seit seiner Gründung im Jahr 2010.

„Deutschland nimmt seit den 1990er Jahren an bewaffneten Konflikten teil, bei denen Soldaten verletzt werden“, sagt Drescher. „Trotzdem fehlt es an Anerkennung und sozialem Schutz.“ Das sei auch bei der „sehr stillen Rückkehr“ der Bundeswehr aus Afghanistan deutlich geworden, bei der sich kein Regierungs- oder Parlamentsmitglied blicken ließ. „Auch diese mangelnde Wertschätzung ist sehr belastend.“

Andreas Eggert in Bonn versucht, Frieden zu finden von den Bildern aus Afghanistan. Mehr als 300 Therapiestunden hat er seit 2014 schon gemacht, „durch Menschenmengen kann ich wahrscheinlich nie wieder gehen“, sagt er.

Info: Posttraumatische Belastungsstörung

Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) treten als verzögerte Reaktion nach extrem belastenden Ereignissen wie schweren Unfällen, Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen oder Kriegshandlungen auf. Soldatinnen und Soldaten in Kriegseinsätzen sind zu etwa 20 Prozent von dieser oder auch anderen psychischen Störungen betroffen. Bei der Gesamtbevölkerung liegt die Häufigkeit bei acht Prozent.

Typische Symptome einer PTBS sind Tagträume, Flashbacks und Albträume, in denen die Situation wieder erlebt wird. Parallel dazu gibt es sogenannte Vermeidungssymptome wie emotionale Stumpfheit oder Gleichgültigkeit anderen Menschen und Situationen gegenüber. Manchmal können wichtige Teile des Erlebnisses auch nicht erinnert werden. Oft sind Betroffene auch sehr schreckhaft, haben Konzentrationsschwierigkeiten, leiden an erhöhten Wachsamkeit, Reizbarkeit und Schlafstörungen.

Laut psychiatrischen Fachverbänden gibt es gute Heilungschancen. Bei jahrelangen Symptomen kommt es aber bei über 30 Prozent der Betroffenen zu einem chronischen Verlauf.

Info: Veteranen in Deutschland

Etwa 300.000 Soldatinnen und Soldaten waren seit den 1990er Jahren an Auslandseinsätzen der Bundeswehr beteiligt. In Deutschland unterliegen alle Auslandseinsätze einem Parlamentsvorbehalt: Sie werden im Bundestag diskutiert und beschlossen.

Etwa 20 Prozent aller Soldatinnen und Soldaten erleiden in Folge von Kriegseinsätzen psychische Erkrankungen, zeigen internationale Studien. In vielen Ländern gibt es deshalb für Veteraninnen und Veteranen besondere Sozialleistungen, strukturierte Angebote und verankerte gesellschaftliche Anerkennung. Besonders ausgeprägt ist die Veteranenkultur in den USA und Großbritannien, wo sie und ihre Angehörigen besondere Leistungen im Gesundheitssystem, eine Lebensversicherung, Darlehen, aber auch Hinterbliebenenrente und Bestattungskosten erhalten. Als Veteran gilt jeder, der irgendwann einmal in den Streitkräften gedient hat.

In Deutschland gibt keine spezielle Veteranenpolitik. Nach dem Zweiten Weltkrieg endete eine Tradition von Kriegshelden-Ehrungen, stattdessen gibt es den Volkstrauertag zum Gedenken an alle Kriegstoten. Seit den regelmäßigen bewaffneten Auslandseinsätzen der Bundeswehr fordern Soldatinnen und Soldaten zunehmend eine Diskussion zu dem Thema. 2010 gründete sich mit dem Bund Deutscher Einsatzveteranen erstmals eine Interessensvertretung von Rückkehrenden aus Auslandseinsätzen, die mehr Anerkennung und eine gesicherte psychosoziale Versorgung auch für Zeitsoldatinnen und -soldaten fordert.