Äthiopien-Expertin: Welt muss auf Dialog im Tigray-Konflikt dringen

Frankfurt a.M. (epd). Trotz der Zuspitzung des Konflikts in Äthiopien ist nach Ansicht der Afrika-Expertin Annette Weber von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) internationaler Druck zu einem Dialog nicht aussichtslos. "Ich sehe noch nicht, dass alles verloren ist", sagte die Politologin im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) über die Auseinandersetzung zwischen Zentralregierung und der in der Region Tigray regierenden TPLF. Gleichwohl dränge die Zeit, die Chancen erschienen von Tag zu Tag geringer.

"Nur ein Dialog bietet die Grundlage, damit dieser Konflikt nicht noch viel desaströser wird für Äthiopien und die Region", sagte Weber. Darauf müssten alle dringen, In- und Ausland, immer wieder. Sollten sowohl die äthiopische Regierung unter Ministerpräsident Abiy Ahmed als auch die TPLF, die Volksbefreiungsfront von Tigray, an einem militärischen Ausfechten festhalten, böte dies eine Reihe von Schreckensszenarien für das Horn von Afrika und darüber hinaus. Innerhalb des Vielvölkerstaats Äthiopien könnte sich der Machtkampf mit der Zentralregierung in anderen Regionen und Volksgruppen fortsetzen, mit Blick auf die Nachbarn Eritrea und Sudan drohe ein Flächenbrand.

"Es wäre mehr als wahrscheinlich, dass sich der Konflikt zum regionalen Krieg auswachsen würde", mahnte Weber. Schon jetzt wirft die TPLF Eritrea ein Eingreifen aufseiten Abiys vor. Abiy hatte nach seinem Regierungsantritt 2018 Frieden mit dem langjährigen Erzfeind Eritrea geschlossen und dafür den Friedensnobelpreis erhalten. Innenpolitisch leitete er weitreichende Öffnungen ein, setzt aber zugleich auf stärkere Zentralisierung, was die Spannungen im Verhältnis zu einzelnen Volksgruppen verschärft hat. Vor allem die TPLF, die maßgeblich am Sturz der Militärdiktatur 1991 beteiligt war, fühlt sich gedemütigt und spricht Abiy die Legitimität ab. Für Eritrea gilt die TPLF außerdem weiterhin als Verkörperung des verfeindeten Nachbarlands, gegen den es von 1998 bis 2000 einen blutigen Krieg führte.

Wenn Äthiopien und Eritrea nun ihre Truppen gemeinsam gegen die TPLF-Kämpfer schicken würden, drohe ein langer Stellungskrieg, erklärte Weber. Die Tigray, die nur sechs Prozent der Bevölkerung Äthiopiens ausmachen, verfügten über rund 250.000 Kämpfer. Das riesige Äthiopien habe etwa 200.000 Soldaten, die aber vermutlich nicht alle mobilisiert werden könnten. Ein Zermürbungskrieg wäre nicht nur katastrophal für die Bevölkerung, sondern auch über die Grenzen hinweg.

"Für den Sudan wäre das eine furchtbare Entwicklung", betonte Weber. Der große Nachbar sei politisch fragil und wirtschaftlich auf schwachen Beinen und stehe schon jetzt vor großen Herausforderungen angesichts der Flüchtlingsströme aus Äthiopien. Wenn sich außerdem zurückgedrängte TPLF-Kämpfer im Sudan verkriechen würden, "wäre das eine Belastungsprobe, der das Land nicht standhalten könnte".