500 Jahre "Zwölf Artikel": Memmingen will Fest der Freiheit feiern

2025 steht für Memmingen ganz im Zeichen von 500 Jahre "Zwölf Artikel". Höhepunkte des Gedenkjahres sind eine Bayernausstellung von März bis Oktober und ein Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Auch die Kirchen sind beteiligt.

Memmingen/Stuttgart (epd). Die Stadt Memmingen will den 500. Geburtstag der „Zwölf Artikel“ in diesem Jahr mit einem „Fest der Freiheit und des Miteinanders“ feiern. Die Besucher sollen mit zahlreichen Veranstaltungen, die über das ganze Jahr verteilt angeboten werden, Einblicke in die Welt von 1525 erhalten, teilten die Allgäu GmbH und der Kulturmanager der Stadt Memmingen, Alexander Schöttle, bei der Programmpräsentation auf der Urlaubsmesse CMT am Montag in Stuttgart mit. Auch die Bezüge zur Gegenwart sollen dabei hergestellt werden: Denn auch heute strebten Gesellschaften nach mehr Freiheit und Gerechtigkeit. Außerdem habe der Bauernkrieg Spuren für das Fundament der Demokratie in Deutschland hinterlassen.

Präsentiert werden im Gedenkjahr den Angaben zufolge Lichtinszenierungen, interaktive Ausstellungen, Podiumsdiskussionen, Lesungen, Vorträge, Open-Air-Kinonächte und Konzerte. Ein Höhepunkt ist die Bayernausstellung „Projekt Freiheit - Memmingen 1525“ des Hauses der Bayerischen Geschichte, die vom 16. März bis 19. Oktober im evangelischen Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Memmingen stattfindet. Am 24. Mai soll es eine Kulturnacht geben, am 5. Juli dann ein Fest der Kulturen. Den Abschluss des Festjahres markiert die Verleihung des mit 25.000 Euro dotierten Memminger Freiheitspreises am 3. Oktober an den früheren Trainer des Fußball-Bundesligisten SC Freiburg, Christian Streich.

Auch die evangelische und die katholische Kirche wollen sich an dem Gedenkjahr beteiligen. Denn der Bauernkrieg sei Teil der reformationsgeschichtlichen Epoche und die „Zwölf Artikel“ trügen eine christliche Handschrift, sagte der evangelische Memminger Dekan Christoph Schieder dem Evangelischen Pressedienst (epd). Am 20. Februar gebe es ein interreligiöses „Glaubensgespräch“ mit dem früheren Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der früheren Bundesministerin und Vatikan-Botschafterin Annette Schavan und dem Penzberger Imam Benjamin Idriz.

Am 15. März, einen Tag vor Eröffnung der Bayernausstellung, soll es in der evangelischen Martinskirche einen Empfang geben, zu dem auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erwartet werden. Außerdem sollen im Laufe des Gedenkjahres die historischen Orte zu den „Zwölf Artikeln“ präsentiert werden, sagte Schieder weiter. Dazu zählen etwa die Martinskirche als Ort der Reformation, das Wohnhaus des Theologen Christoph Schappeler, der 1513 nach Memmingen gekommen war und dort den Reformationsprozess einläutete, und das Kramerzunfthaus, wo die „Zwölf Artikel“ formuliert wurden.

Die „Zwölf Artikel“, die Anfang März 1525 während des Bauernkrieges verfasst wurden, gelten heute nach der Magna Charta von 1215 als eine der frühesten schriftlichen Forderungen nach Freiheitsrechten in Europa. Verfasst wurden sie bei einem Treffen aufständischer Bauern in der Memminger Kramerzunftstube. Dabei schlossen sich die Bauern zu einer „Christlichen Vereinigung“ zusammen und formulierten die „Zwölf Artikel“. Dank des Buchdrucks und einer Auflage von 25.000 Exemplaren wurden die Forderungen im ganzen Reich bekannt.

Die „Zwölf Artikel“ tragen auch eine starke reformatorische Handschrift: Als Mitverfasser werden der Memminger Laienprediger und Reformationsbefürworter Sebastian Lotzer sowie der Theologe Christoph Schappeler vermutet.

Hintergrund: Die "Zwölf Artikel":

Die „Zwölf Artikel“, die Anfang März 1525 während des Bauernkrieges verfasst wurden, gelten heute nach der Magna Charta von 1215 als eine der frühesten schriftlichen Forderungen nach Freiheits- und Menschenrechten in Europa. Die „Zwölf Artikel“ tragen eine starke reformatorische Handschrift: Als Mitverfasser werden der Memminger Laienprediger und Reformationsbefürworter Sebastian Lotzer sowie der Schweizer Theologe Christoph Schappeler vermutet. Die Memminger Kirchengemeinde St. Martin hat die „Zwölf Artikel“ 2022 ins heutige Deutsch übersetzt.

1. Eine Gemeinde soll ihren Pfarrer selbst wählen, ein- und absetzen dürfen. Der Pfarrer soll das Evangelium unverfälscht predigen, damit wir durch den Glauben zu Gott kommen.

2. Der Kornzehnt soll für den Unterhalt des Pfarrers und seiner Familie verwendet werden sowie für die Armen in der Gemeinde.

3. Es ist zum Erbarmen, dass man uns für Leibeigene hält, es ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind und frei sein wollen. Als Freie leben wir nach Gottes Gebot und nicht nach freier menschlicher Willkür.

4. Das Recht zum Jagen und Fischen muss nach christlicher Einsicht gerecht zugesprochen werden.

5. Die Gemeindewälder müssen wieder eingeführt werden, aus denen jeder nach seinem angemessenen Bedarf Brennholz holen darf.

6. Dem Zuwachs der harten Frondienste soll nach dem Wortlaut des Evangeliums Einhalt geboten werden.

7. Wir wollen, dass der Dienst zwischen Herren und Bauern geregelt wird, damit weder Zeit noch Bezahlung dem Bauern zum Nachteil gereicht.

8. Der Pachtzins soll durch ehrbare Leute nach der Ertragsfähigkeit festgesetzt werden.

9. Strafsachen sollen nicht nach Missgunst und Willkür entschieden werden, sondern aufgrund alter, geschriebener Satzungen.

10. Wir nehmen Äcker und Wiesen, die der Gemeinde gehören, wieder in unseren rechtmäßigen Besitz, nach einem gütlichen und brüderlichen Vergleich mit den Herren.

11. Witwen und Waisen dürfen von ihren Herren nicht beraubt werden. Sie dürfen nicht geschunden, noch schäbig behandelt werden. Das will Gott nicht mehr dulden.

12. Diese Artikel haben wir beschlossen. Wenn ein Artikel nicht dem Wort Gottes entspricht, nehmen wir ihn zurück. Wir wollen uns in aller christlicher Lehre üben. Der Friede Christi sei mit uns allen.

Hintergrund: Der Weg zu den "Zwölf Artikeln":

Die ersten Bauernaufstände gegen die weltliche und kirchliche Obrigkeit brachen 1524 aus, 1525 organisierte sich der Aufstand zunehmend. Schwerpunkte der Bauernkriege waren der süddeutsche Raum mit Schwaben, Franken, Sachsen, Hessen und Thüringen sowie Teilen der Schweiz und Österreichs. Im März 1525 formulierten Vertreter der aufständischen Bauern in Memmingen die „Zwölf Artikel“, die heute neben der Magna Carta als früheste schriftliche Forderungen nach Freiheitsrechten gelten. Der Evangelische Pressedienst (epd) zeichnet den Weg zu den „Zwölf Artikeln“ nach.

  • 1513: Der Schweizer Theologe und Mit-Wegbereiter der Zwölf Artikel, Christoph Schappeler (um 1472-1551), kommt nach Memmingen an die St. Martins-Kirche. Schappeler ist ein Weggefährte des Schweizer Reformators Ulrich Zwingli. Dank ihm nimmt die Reformation in Memmingen ihren Lauf. Soziale Ungleichheit und die hohe Besteuerung von Armen sind Schappeler ein Dorn im Auge.
  • 1523: Der Laienprediger und Mit-Wegbereiter der Zwölf Artikel, Sebastian Lotzer, macht sich öffentlich für die Reformation in Memmingen stark.
  • Dezember 1524: Christoph Schappeler reicht das Abendmahl in beiderlei Gestalt - also Brot und Wein.
  • Januar 1525: Der Stadtrat ruft zur Memminger Disputation, um eine friedliche Lösung im Zwist zwischen katholischer und reformatorischer Lehre zu finden. Der Stadtrat trifft keine Entscheidung, die Reformation hat unter den Bürgern aber viele Anhänger.
  • Januar 1525: In der Schweiz und in Oberschwaben werden Rufe nach einem Aufstand des „Gemeinen Mannes“ lauter. Ziel: die Verbesserung der Lebensverhältnisse und ein Ende der Ausbeutung durch die weltliche und kirchliche Obrigkeit. Adressat der Forderungen: der Schwäbische Bund, dem weltliche und kirchliche Adelige sowie Städte in Süddeutschland angehören.
  • Anfang Februar 1525: Die drei wichtigsten „Haufen“ in Oberschwaben bilden sich: Baltringer Haufen mit 12.000 Mitgliedern, Seehaufen mit 8.000 Mitgliedern und Allgäuer Haufen mit 7.000 Mitgliedern. Bis zu 4.000 Bauern versammeln sich in Memmingen, sie berufen sich auf das Evangelium, wonach alle Menschen gleich sind. Immer mehr Haufen entstehen.
  • 15. Februar 1525: Der Adelige Georg Truchsess von Waldburg-Zeil erklärt als erster einem Bauernhaufen den Krieg.
  • Ende Februar 1525: Sebastian Lotzer wird Heerschreiber des Baltringer Haufens und verfasst die „10 Artikel der Memminger Bauernschaft“.
  • Ende Februar/Anfang März 1525: Die „Zwölf Artikel“ werden formuliert. Als wahrscheinlicher Verfasser gilt Sebastian Lotzer, als einer der Mitverfasser, vor allem der religiösen Passagen, Christoph Schappeler.
  • 6./7. März 1525: Vertreter der Bauern kommen in der Memminger Kramerzunftstube zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Sie nehmen die „Zwölf Artikel“ als ihr gemeinsames Manifest an und schließen sich zu einer „Christlichen Vereinigung“ zusammen.
  • Mitte/Ende März 1525: Der Schwäbische Bund formiert sich zum Gegenschlag gegen die aufständischen Bauern.
  • Frühjahr 1525: Die „Zwölf Artikel“ werden tausendfach nachgedruckt und verbreiten sich im gesamten römisch-deutschen Reich. Auch die Theologen Martin Luther und Philipp Melanchthon nehmen Stellung zu den Forderungen. Die Aufstände weiten sich aus.
  • April 1525: Das Bundesheer des Schwäbischen Bundes gewinnt mehrere Schlachten gegen die Bauernhaufen.
  • 6. Mai 1525: Martin Luther verfasst seine Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“. Er ruft die Obrigkeit dazu auf, die aufständischen Bauern zu töten.
  • Mai 1525: Etliche Herrschaftsgebiete, Adelige und Städte in Mitteldeutschland nehmen die „Zwölf Artikel“ an.
  • Frühsommer 1525: Der Schwäbische Bund gewinnt am Oberrhein, in der Pfalz, in Württemberg, Thüringen und Hessen die Oberhand.
  • Juni 1525: Christoph Schappeler und Sebastian Lotzer fliehen vor den einmarschierenden Truppen des Schwäbischen Bundes aus Memmingen.
  • 17. Juli 1525: Führende aufständische Bauern werden bei Durach hingerichtet.
  • Sommer 1525: Ende der Bauernaufstände der „Christlichen Vereinigung“. Zehntausende Bauern starben.
  • 20. Januar 1526: Der Memminger Vertrag wird unterschrieben, in dem den Bauern eine zuverlässige Verfassung zugestanden wird.

Quellen, u.a.: www.stadt-der-freiheitsrechte.de