Positionspapier zu Dienstpflicht und Freiwilligkeit, zu Wehrpflicht, KDV und freiwilligem Friedensdienst (2024)
- Staat und Zivilgesellschaft sind auf das Engagement ihrer Bürger*innen angewiesen. In den derzeitigen Krisenzeiten fragen viele danach, wie der Zusammenhalt und die Verantwortung füreinander gestärkt werden können. Insbesondere Politiker*innen der CDU/CSU, aber auch der Bundespräsident sehen eine allgemeine Dienstpflicht für junge Menschen als einen geeigneten Weg.
- Eine Entscheidung über eine Dienstpflicht setzt eine breite gesellschaftliche Debatte über deren Vor- und Nachteile voraus. Die Perspektiven derjenigen, die diesen Pflichtdienst in Zukunft leisten müssten, soll darin ein besonderes Gewicht haben. Zivilgesellschaft und auch Kirche sollte diese Debatte anregen und begleiten.
- Die EKD hat sich 2006 gegen einen sozialen Pflichtdienst und für die Stärkung der Freiwilligendienste positioniert; daran halten wir fest:
- Freiwilligendienste bieten einen vielfachen Nutzen: einen „Dienst für andere bzw. die Mitschöpfung“; die Erfahrung, selbstwirksam zu sein, d.h. die Wirklichkeit mitzugestalten; eine Stärkung des Verantwortungsgefühls für die Gemeinschaft; eine Einübung in ehrenamtliches Engagement, nicht nur bei jungen Menschen; einen konkreten individuellen Nutzen im Blick auf berufliche Orientierung und einen Gewinn an Erfahrung und Kompetenz.
Zudem stehen sie allen offen, auch denen, die eine andere Staatsbürgerschaft haben und ordnen den Dienst nicht nationalen Abgrenzungen unter. - Freiwilligkeit ist in einer demokratischen Rechtsordnung im Blick auf Dienste für die Allgemeinheit ein zentrales Kriterium. Außerdem erschwert die Pflicht die Identifikation mit der konkreten Aufgabe. Sie kann Widerstände provozieren, die gerade bei sozialen Tätigkeiten leicht zu Lasten Abhängiger gehen. Schließlich sind mit einem Pflichtdienst erhebliche Kosten für die bürokratische Kontrolle etc. verbunden.
- Statt auf eine Dienstpflicht für junge Menschen zu setzen, sollte eine „Kultur der Freiwilligkeit“ gefördert werden. Zentraler Baustein ist ein Recht auf einen Freiwilligendienst für alle Generationen. Dazu sollte(n):
- breit über Freiwilligendienste informiert und Interessierte beraten werden;
- der Staat für jede Person, die einen Freiwilligendienst leisten möchte und einen entsprechenden Vertrag abschließt, eine finanzielle Förderung sicherstellen;
- rechtliche, aber auch soziale Hürden abgebaut werden, die derzeit den Zugang erschweren;
- der Freiwilligendienst als Praktikum bzw. Wartezeit und in allen Bundesländern als praktischen Teil der Fachhochschulreife anerkannt wird
- und die gewonnenen Kompetenzen in Stellenbesetzungsverfahren gewürdigt werden.
- Freiwilligendienste bieten einen vielfachen Nutzen: einen „Dienst für andere bzw. die Mitschöpfung“; die Erfahrung, selbstwirksam zu sein, d.h. die Wirklichkeit mitzugestalten; eine Stärkung des Verantwortungsgefühls für die Gemeinschaft; eine Einübung in ehrenamtliches Engagement, nicht nur bei jungen Menschen; einen konkreten individuellen Nutzen im Blick auf berufliche Orientierung und einen Gewinn an Erfahrung und Kompetenz.
- Die Debatte um die Einführung einer Dienstpflicht ist eng verknüpft mit der Frage der Wiedereinführung der Einberufung zur Wehrpflicht, sei es nur für junge Männer oder zukünftig auch unabhängig vom Geschlecht. Wie der Wehrdienst orientiert sich der Pflichtdienst am Interesse des deutschen Staates.
Demgegenüber definiert sich ein freiwilliger Dienst weniger von der staatlichen Perspektive, sondern von den konkreten Aufgaben und den betroffenen Menschen her. Versteht sich ein Freiwilligendienst als Friedensdienst, weitet sich der Horizont und nimmt seine gesellschaftliche und globale Verantwortung wahr. - Bisher ist nicht abzusehen, ob die Einberufung zur Wehrpflicht für Männer wiedereingeführt wird oder eine neue Form eines Basiswehrdienstes bzw. eine allgemeine Dienstpflicht. In jedem Fall muss die Verweigerung des Kriegsdienstes sichergestellt werden. Sie ist ein Grundrecht, das im Grundgesetz durch Art. 4 (3) geschützt ist und auch ein abzuleitendes Menschenrecht. Es gründet in der Freiheit des Gewissens. Es gilt weltweit. Es begründet einen Asylstatus. In seiner Anerkennung auch im Konflikt- und Kriegsfall bewähren sich Rechtsstaat und freiheitliche Demokratie, indem sie auch in der Krise sich selbst treu bleiben und die Freiheitsrechte der einzelnen Person und die Integrität des Gewissens schützen.
- Es ist abzusehen, dass viele junge Leute sich ab dem kommenden Jahr mit Fragen wie den folgenden auseinandersetzen müssen: Ist es für mich mit meinem Gewissen, meinen ethischen Vorstellungen und politischen Überzeugungen vereinbar, Wehrdienst zu leisten? Bin ich bereit, mich als Soldat*in dafür ausbilden zu lassen zu töten? Bin ich bereit das Risiko einzugehen, im Einsatz getötet zu werden? Bin ich bereit die militärische Sicherheitslogik mitzutragen? Oder mache ich von meinem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen Gebrauch?
- Die Frage nach der ethischen Verantwortbarkeit von Kriegsdienst begleitet die Kirche seit ihrer Frühzeit. Ihre Aufgabe ist heute jungen Menschen in ihrer Gewissensbildung zur Seite zu stehen und so die Basis für profunde Entscheidungen einzelner zu stärken. Dazu sind die erforderlichen finanziellen, personellen und fachlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um Beratung im schulischen und außerschulischen Bereich anbieten zu können, Informationen und Materialien zu erstellen und Multiplikator*innen zu schulen. Die Kirche sollte Räume bieten, in denen junge Leute miteinander über ihre Entscheidung sprechen und streiten können.
Schon jetzt steigt der Bedarf an Beratung kontinuierlich an, so dass die Kirchen schnell handeln sollten. - Wer den Kriegsdienst verweigert, muss nach Art. 12a GG einen Ersatzdienst leisten. Um den Charakter dieses Dienstes wird gestritten. Während er im GG lediglich als Ersatz bezeichnet wird und verhindern soll, dass die Gewissensentscheidung von jeder Dienstpflicht befreit, hat der Bund der ev. Kirchen in der DDR die Kriegsdienstverweigerung als das „deutlichere Zeugnis“ für den Frieden verstanden. Die in der EKD-Friedensdenkschrift von 2007 vertretene vorrangige Option für zivile Konfliktlösungen wird durch einen freiwilligen Friedensdienst auf das individuelle Handeln übertragen.
- Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und einer steigenden Zahl an militärischen und sich zuspitzenden Konflikten weltweit wird dieser Vorrang für die zivile Konfliktbearbeitung und die Vorordnung des zivilen Friedensdienstes auch in den Kirchen in Frage gestellt.
Dagegen ist festzuhalten, dass der freiwillige Friedensdienst
- deutlicher Zeugnis gibt von der Ausrichtung der Friedensbewegung Gottes;
- in seiner Praxis deutlicher die Grundprinzipien der Demokratie aufnimmt: individuelle Verantwortung statt Befehl und Gehorsam, Beteiligung aller am Konflikt Beteiligter an der Suche nach einer Lösung, Anerkennung des Gegners/der Feinde in ihrer Würde, …;
- deutlicher Verantwortung dafür übernimmt, Gewalt zu minimieren und Freiheit und Gerechtigkeit, sozial wie global, zu fördern;
- sich in seinen Mitteln schon deutlich an diesem Ziel ausrichtet.
Hannover, 3. 12. 2024 AGDF EAK
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