Nein zur Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland (2024)

Resolution der AGDF-Mitgliederversammlung 2024 zu 

Nein zur Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland

Die nach geheimen Regierungsverhandlungen in einer Erklärung am 10. Juli 2024 bekannt gegebene Entscheidung, ab 2026 landgestützte US-Raketen und Marschflugkörper mit strategischen Reichweiten in Deutschland zu stationieren, hat weitreichende politische und militärische Folgen. Im Vorfeld wurden der Bundestag und die Öffentlichkeit nicht ausreichend informiert Eine fundierte, kritische Diskussion findet bislang in Deutschland nicht statt. 

1. In einer solchen Diskussion müsste die veränderte sicherheitspolitische Lage zu Beginn des 21. Jahrhunderts berücksichtigt werden: Militärische Gewalt wird zunehmend und nicht nur von autoritären Regimen als Mittel zur Lösung von Konflikten verstanden; das zeigen die Intervention der USA und verbündeter Staaten im Irak und der NATO in Afghanistan, das gilt für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, für die Drohungen Chinas gegen Taiwan, aber auch für die Politik von Staaten wie Indien, Saudi-Arabien oder der Türkei und in zahllosen blutigen regionalen Konflikten. Weltweit rüsten Staaten ihr Militär auf. 

Der konkrete Zweck der Stationierung wurde bisher nicht hinlänglich erläutert. Es wird pauschal auf die Bedrohung durch Russland verwiesen. Tatsächlich stehen in der Enklave Kaliningrad russische Iskander-Systeme, mit denen Westeuropa angegriffen werden könnte. Ebenso hat Russland angekündigt, Nuklearwaffen an seiner Grenze zur NATO zu stationieren. Dennoch erscheinen die von der Bundesregierung angeführte „Fähigkeitslücke bei Abstandswaffen“ und ein Bedarf für eine glaubwürdige militärische Abschreckung angesichts der vorhandenen und überlegenen see- und luftgestützten Mittelstreckenwaffen der NATO-Staaten unglaubwürdig.

Das gilt auch für die Absichtserklärung von Deutschland, Frankreich, Italien und Polen zur geplanten Entwicklung europäischer Mittelstreckenwaffen vom 11. Juli, deren militärische und politische Notwendigkeit ebenfalls unklar bleibt. Es fehlt eine breite politische Debatte.

2. Die Entscheidung für eine Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen wurde nicht im Rahmen der NATO getroffen. Die neuen Waffensysteme sollen ausschließlich in Deutschland stationiert werden. Dies macht Deutschland verstärkt zum Ziel etwaiger russischer Angriffe. 

Die aktuell beschlossene Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen ist Teil der bereits seit 2017 umgesetzten Aufstellung von insgesamt fünf sog. Multi-Domain Task Forces (MDTF) für eine weitreichende regionale Kriegsführung, mit der die USA ihre militärische Präsenz und Stärke im Pazifikraum (gg. China) und in Europa (gg. Russland) erhöht. In Deutschland begannen die vorbereitenden Aktivitäten für die europäische MDTF-Einheit am Standort Wiesbaden bereits im September 2021, die volle Operationsfähigkeit soll 2025 hergestellt, die Ausstattung 2026 komplettiert werden. 

3. Die in der Entwicklungsphase befindlichen Überschallraketen vom Typ Dark Eagle und deren Stationierung auf Land ermöglichen es, Ziele in bis zu 2.800 km Entfernung mit kurzen Vorwarnzeiten zu erreichen. Sie eignen sich daher noch mehr als andere landgestützte Mittelstreckenwaffen für Überraschungsangriffe. Als Konsequenz wird sich das gegnerische Militär permanent in hoher Alarmbereitschaft befinden. In Krisensituationen wächst die Wahrscheinlichkeit für Fehlentscheidungen, z.B. ein russischer Raketenschlag wegen eines vermeintlich gestarteten Angriffs. 

4. Eine Bestückung der landgestützten US-Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit Nuklearsprengköpfen ist aktuell technisch nicht möglich und offenbar auch perspektivisch nicht geplant. Strategische Ziele der Waffen könnten aber russische Abschusseinrichtungen für Trägerraketen sein. Insofern erhöht die Stationierung die Gefahr einer Eskalation bis hin zu einem möglichen Nuklearkrieg.

5. Die geplante Stationierung ist Teil der laufenden weltweiten Aufrüstung; der russische Präsident hat bereits neue Rüstungsvorhaben angekündigt. Zudem bedeutet sie ein Ende des faktischen Moratoriums für die Stationierung von Mittelstreckenraketen, das auch nach der Kündigung des russisch-amerikanischen INF-Vertrages (Intermediate Range Nuclear Forces) im Februar 2019 durch die USA weiterbestand. Die Chancen für eine Fortschreibung des New START-Abkommens zur Reduzierung strategischer Waffensysteme sinken durch die Stationierung. Ebenso verringert sich die Wahrscheinlichkeit für neue Verhandlungen über (nukleare) Rüstungskontrolle, die auch China, Indien und andere militärische Mächte einschließen müssten. Anders als beim sog. NATO-Doppelbeschluss von 1979 ist dieser Stationierungsbeschluss nicht mit der Bereitschaft zu Rüstungskontrollverhandlungen und einer allgemeinen Abrüstung verbunden.

6. Die Erosion der Rüstungskontrolle geht einher mit einer beunruhigenden nuklearen Aufrüstung. Weltweit steigen die Ausgaben für Atomwaffen stark an (auf 91,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023). Unter Missachtung des Abrüstungsgebotes aus Artikel 6 Nichtverbreitungsvertrag gibt es in fast allen atomar bewaffneten Staaten entweder Pläne oder erhebliche Bestrebungen die Nuklearstreitkräfte auszubauen. Das macht deutlich, wie die Politik der Abschreckung in ein neues Wettrüsten führt und gleichzeitig die katastrophalen humanitären Folgen von Atomwaffen und das gemeinsame Ziel einer atomwaffenfreien Welt immer mehr aus dem Blick verliert.

Die Mitgliederversammlung AGDF lehnt die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland ab. 

Konkret hält sie für erforderlich, dass 

  • der Bundestag sich ausführlich mit der geplanten Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland befasst und hierüber entscheidet,
  • die Bundesregierung sich mit Nachdruck und konkreten Aktivitäten für Rüstungskontrolle, nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung, die internationale Ordnung und deren Institutionen einsetzt – wie sie dies in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie 2023 festgeschrieben hat – und alles vermeidet, was diesen Zielen entgegensteht,  
  • Politik, Zivilgesellschaft und Kirchen eine breite gesellschaftspolitische Diskussion zur Frage initiieren, wie Sicherheit und Frieden weltweit befördert werden können und welchen Beitrag Deutschland hierzu leisten kann und soll.

Es ist notwendig, alternative Ansätze zu militärischer Aufrüstung und Stärke bekannter zu machen. Die AGDF setzt sich für ein Umdenken und Umsteuern in der Sicherheits- und Friedenspolitik ein.

Die Mitgliederversammlung begrüßt, dass die AGDF seit Frühjahr 2024 dem Kreis der weltweit über 650 Partnerorganisationen der »Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen« (ICAN) angehört. Sie betont den wichtigen Beitrag des UN-Atomwaffenverbotsvertrages (AVV) zum internationalen Dialog über nukleare Abrüstung und fordert die Bundesregierung auf, das Atomwaffenverbot zu unterstützen!

Die 31 Mitglieder der AGDF engagieren sich in unterschiedlichen Feldern konkret für den Frieden in der Welt, u.a. in Friedensbildung, Ziviler Konfliktbearbeitung und Krisenprävention, Friedens-, Versöhnungs- und Menschenrechtsarbeit sowie grenzüberschreitenden Fach- und Friedensdiensten. Die AGDF als Dach- und Fachverband der Friedensarbeit bündelt die Zielsetzungen und Erfahrungen und bringt sie in den politischen Diskurs ein. 

Beschlossen am 21. September 2024 in Berlin