Kundgebung "Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens" (2019)
K U N D G E B U N G der 12. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland auf ihrer 6. Tagung
Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens
Lass ab vom Bösen und tue Gutes;
suche Frieden und jage ihm nach! (Ps 34,15)
Als Christinnen und Christen, die sich im Gottesdienst und im Gebet in den Frieden Gottes stellen, haben wir Anteil an der Friedensbewegung Gottes in diese Welt hinein. Sie bildet den Ausgangspunkt und den Kern der Friedenstheologie und -ethik, die wir als christliche Kirchen in das Ringen um den Frieden in der Welt einbringen.
Der Friede Gottes ist umfassend; unsere Umsetzungen sind partikular. Gottes Frieden umfasst ein Leben in Würde, den Schutz vor Gewalt, die Bewahrung unserer Lebensgrundlagen, den Abbau von Ungerechtigkeit und Not, die Stärkung von Recht, Freiheit und kultureller Vielfalt. Die grundlegende Differenz zwischen dem, was wir für den Frieden tun, und dem Frieden Gottes führt uns von der Klage in das Lob Gottes. Diese Differenz wehrt jeder Sakralisierung politischer Positionen, auch unserer eigenen. Sie begrenzt unsere menschlichen Auseinandersetzungen heilsam. Sie fördert nüchterne Unterscheidungen und ermöglicht Selbstkritik und Gelassenheit.
Der Friede Gottes überwindet Grenzen, Mächte und Gewalten. Gott steht den Opfern bei. Das geschieht aber nicht durch eine Steigerung der Gewalt, sondern durch Überwindung der Logik der Gewalt: indem Gott Mensch wird und sich in Christus selbst verwundbar macht. Der neue Himmel und die neue Erde, in der sich Gerechtigkeit und Friede küssen, liegen uns noch voraus. Aber wir gestalten schon im Hier und Jetzt mit Hoffnung und Ausdauer, mit Klarheit und Mut eine Friedensordnung. Christus ist unser Friede (Eph 2,14). Christus richtet uns durch seine Gerechtigkeit auf und nimmt uns mit auf seinenWeg.Wir sind gerufen, uns aufrecht und mündig mit unseren Kompetenzen und Ressourcen, auch mit unseren Schwächen, an Christi gewaltfreiem Friedenshandeln auszurichten und Verantwortung für einen gerechten Frieden zu übernehmen.
Vor 30 Jahren fand die friedliche Revolution in der DDR statt, mit brennenden Kerzen in den Händen und Friedensgebeten in überfüllten Kirchen – gewaltfrei. Das empfinden wir nach wie vor dankbar – in Ost wie in West – als ein großes Geschenk. Die Mauer fiel, die deutsche und europäische Teilung konnte überwunden werden, Demokratie und Freiheit wurden dazugewonnen. Jedoch sind nicht alle Mauern in Köpfen und Herzen überwunden worden, neue werden errichtet.
Der Überwindung der alten Blockkonfrontation ist eine internationale Weltordnung gefolgt, die bestimmt ist durch eine Multipolarität, in der neben den Großmächten eine Vielzahl weiterer Akteure miteinander konkurrieren. Neue Konfliktlinien entstanden, Kriege wurden geführt und geschürt. Im Jahr 2007 hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland vor diesem Hintergrund in der Denkschrift „Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen“ dem Leitbild des Gerechten Friedens verpflichtet und sich für einen klaren Vorrang für gewaltfreie, zivile Instrumente der Konfliktbearbeitung ausgesprochen. Sie betont den engen Zusammenhang von Frieden und Gerechtigkeit und von Frieden und Recht. Den Einsatz militärischer Mittel hält sie ausschließlich als „rechtserhaltende Gewalt“, die als äußerstes Mittel (ultima ratio) erwogen werden darf, unter engen Kriterien für legitim. Der Einsatz von Gewalt ist immer eine Niederlage und stellt uns vor die Frage, ob wir im Vorfeld alles zur Prävention und gewaltfreien Konfliktlösung getan haben.
Seit der Friedensdenkschrift der EKD aus dem Jahr 2007 hat sich die Situation erneut geändert:
• Der Klimawandel entzieht Menschen die Lebensgrundlagen. Das führt zunehmend zu gewaltsamen innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Konflikten und Migrationsdruck.
• Die globalen sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten vergrößern sich.
• Aus innerstaatlichen Konflikten entstehen zunehmend Kriege, in die Großmächte und/ oder Nachbarstaaten involviert sind.
• Der internationale Terrorismus verändert und verschärft die Konflikte.
• Die Ausgaben für Rüstung und Militär steigen deutlich.
• Die Bilanz militärischer Einsätze, die zur Beendigung von Menschenrechtsverletzungen führen sollen, ist enttäuschend.
• Hybride Kriege, Kriegsführung im Cyberraum, Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und automatisierte sowie teilautonome Waffensysteme werfen grundlegende ethische Fragen auf.
• Die regelbasierte multilaterale Weltordnung ist in der Krise. Großmächte kündigen internationale Verträge zur Rüstungskontrolle und stellen internationale Abkommen in Frage.
• Der zunehmende Zerfall von Staatlichkeit in vielen Regionen der Welt verändert die sicherheitspolitische Herausforderung.
• Das gesellschaftliche Klima wird rauer, Reden und Handeln werden gewaltförmiger.
Eine gerechtere, ressourcenschonendere und die Würde aller Menschen achtende Weltordnung ist der wichtigste Beitrag für mehr globale Sicherheit und weniger Konflikte. Die wichtigen globalen Herausforderungen lassen sich nicht militärisch lösen, sie bedürfen des politischen Ausgleichs sowie der Berücksichtigung des Rechtes und des Wohles aller Beteiligten. Vor allem aber bedürfen sie der Stärkung des gegenseitigen Vertrauens. Die Gemeinschaft in der Ökumene hilft uns, zum Aufbau des Vertrauens beizutragen. Deshalb sind wir gemeinsam mit Kirchen aus aller Welt auf dem Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens.
1. Der Weg der Gewaltfreiheit
Die Erfahrung zeigt, dass Menschen, Gemeinschaften und Staaten in der Lage sind, Probleme und Konflikte in allen Bereichen gesellschaftlichen und politischen Lebens auf konstruktive und gewaltfreieWeise zu bearbeiten. Es gibt erprobte Konzepte und Instrumente dafür, Wege aus Gewalt und Schuld zu finden, einander vor Gewalt zu schützen und Versöhnungsprozesse zu gestalten – in Friedenszeiten wie in Krisen- und Kriegssituationen. Auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens hören wir Gottes Ruf in die Gewaltfreiheit. Wir folgen Jesus, der Gewalt weder mit passiver Gleichgültigkeit noch mit gewaltsamer Aggression begegnet, sondern mit aktivem Gewaltverzicht. Dieser Weg transformiert Feindschaft und überwindet Gewalt, und er achtet die Würde aller Menschen, auch die von Gegnerinnen und Gegnern.
• Das Leitbild des Gerechten Friedens setzt die Gewaltfreiheit an die erste Stelle. Das wollen wir im Gebet, im eigenen Friedenshandeln und im gesellschaftlichen Dialog immer weiter einüben. Wir rufen die politisch Verantwortlichen dazu auf, militärische Gewalt und kriegerische Mittel zu überwinden. Vom Gerechten Frieden her zu denken heißt, den Grundsatz zu befolgen: „Wenn du den Frieden willst, bereite den Frieden vor.“ Deshalb setzen wir uns mit ganzer Kraft für die Vorbeugung und Eindämmung von Gewalt ein.
• Aufgrund der positiven Erfahrungen mit Prävention und ziviler Konfliktbearbeitung stärken wir die Ausbildung und den Einsatz von Friedensfachkräften und fordern den Ausbau der Friedens- und Konfliktforschung und die verlässliche Bereitstellung der dafür notwendigen finanziellen Ausstattung.
• Prävention ist die nachhaltigste Form der Friedenssicherung. Deshalb fordern wir die Priorisierung von Haushaltsmitteln des Bundesetats – mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes – für entwicklungspolitische Maßnahmen, für die Bekämpfung von Gewaltursachen, für Krisenprävention, für gewaltfreie Konfliktbearbeitung und für Nachsorge und zivile Aufbauarbeit in Krisenregionen.
2. Nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz für gerechten Frieden
Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) beschlossen. Der aktuelle Stand der Umsetzung gibt Anlass zur Besorgnis: Wenn wir als Weltgemeinschaft so weitermachen wie bisher, werden von den 169 Unterzielen nur drei erreicht werden. Auch vom Erreichen des Zieles Nr. 16 „Friede, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ sind wir weit entfernt. Noch immer sind zwei Milliarden Menschen nicht ausreichend ernährt, verbrauchen wir besonders im Globalen Norden mehr Ressourcen als wir zur Verfügung haben, leben wir auf Kosten des fernen Nächsten und kommender Generationen.
Die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels wirken als Konfliktbeschleuniger, sie verstärken bestehende Problemlagen wie Hunger oder extreme Wetterereignisse und treffen insbesondere diejenigen, die am wenigsten zur globalen Erwärmung beitragen. Wir werden dem Anspruch der Agenda 2030, niemanden zurückzulassen („leave no one behind“), nicht gerecht. Weil wir die nachhaltigen Entwicklungsziele nicht konsequent umsetzen, sind wir auf dem Weg in eine noch unfriedlichere Welt. Ohne nachhaltige Entwicklung gibt es keinen Frieden.
Die Kirchen können an vieles anknüpfen, wofür sie sich seit Jahren im konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung engagieren. Wir sprechen uns für ein entschiedenes Engagement von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zur Einhaltung der ökologischen Grenzen unserer Erde aus. Wirksamer Klimaschutz ist auch ein Beitrag zur Krisenprävention.
Für den Frieden in der Welt ist Klimagerechtigkeit eine unabdingbare Voraussetzung. Es ist deshalb ein Ausdruck des christlichen Friedenszeugnisses, sich als Kirche sowohl für das Erreichen der von den Vereinten Nationen 2015 in Paris beschlossenen Klimaziele einzusetzen als auch das eigene kirchliche Klimaschutzhandeln konsequent weiterzuentwickeln.
• Wir treten ein für eine Ethik, eine Ökonomie und einen Lebensstil des Genug und für eine Verzahnung von Friedens- und Nachhaltigkeitsdiskursen in Kirche und Gesellschaft.
• Wir unterstützen die weltweiten Partnerkirchen und -projekte darin, die Folgen des Klimawandels zu bewältigen.
• Wir fordern die Bundesregierung auf, die im Koalitionsvertrag gesetzten Klimaschutzziele endlich entschieden umzusetzen. Die bislang getroffenen Maßnahmen, verabschiedeten Gesetze wie auch die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie reichen bei weitem nicht aus.
• Wir unterstützen die Absicht der Bundesregierung, globalen Klimaschutz als Beitrag zur Krisenprävention zum Schwerpunkt ihrer Zeit als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat zu machen. Sie sollte dazu neue Allianzen suchen und innovative Formate der multilateralen Kooperation nutzen.
• Weiterhin muss die Bundesregierung ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden und dauerhaft ausreichende Mittel für die internationale Klimafinanzierung, insbesondere für die Prävention vor und die Kompensation von klimabedingten Schäden und Verlusten, zur Verfügung stellen.
3. Gesellschaftlicher Frieden
Wir nehmen eine wachsende Schere zwischen Arm und Reich und soziale Benachteiligung wahr. Lohndumping und die Verlagerung von Arbeitsplätzen, sowie Altersarmut und steigende Mieten wecken zunehmend Ängste. Die Kirche hat hier die Aufgabe, sich mit diesen Problemen auseinanderzusetzen, um damit auch verkürzenden populistischen Argumentationen, Extremismus und Gewaltbereitschaft vorzubeugen. Dafür müssen Räume für konstruktive Lösungen geöffnet werden. Zunehmend belasten auch Antisemitismus und Islamfeindlichkeit sowie Rechtspopulismus und Rechtsextremismus das gesellschaftliche Klima. Dem muss entgegnet werden: Rassismus und Ausgrenzung widersprechen dem christlichen Gebot der Nächstenliebe und der Würde des Menschen. Verbale und physische Verrohung und Gewalt dürfen keine Mittel der politischen, weltanschaulichen und religiösen Auseinandersetzung sein. Religionen dürfen kein Anlass für Hass, Unfrieden und Krieg sein, vielmehr sind die Friedenspotentiale der Religionen auszuschöpfen, damit sie als Werkzeuge des Friedens dienen können.
Wir ermutigen Kirchengemeinden und andere kirchliche Einrichtungen, als Orte der Reflexion und des Dialogs zur Verfügung zu stehen, Menschen zur friedfertigen Durchsetzung ihrer Interessen zu befähigen und Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe, gerade auch im ländlichen Raum, zu schaffen. Bündnisse zur Lösung relevanter sozialer Probleme und zur Überbrückung gesellschaftlicher Spaltung sind zu fördern und eine Haltung zu entwickeln, die es ermöglicht, gegen verbale und physische Gewalt einzutreten. Christliche Gemeinden, Verbände und Initiativen können Impulsgeber und Freiräume sein für soziale Gemeinschaft bildende Aktivitäten. Alle Aktivitäten, die es in diesem Sinne bereits gibt, verdienen mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Sie sind die Bündnispartner zur Gestaltung des Gemeinwesens.
• Wir verpflichten uns, Initiativen im Bereich der Friedenspädagogik, zivilen Konfliktbearbeitung und der politischen Bildung zu unterstützen und dabei gerade dem politischen Engagement, den Kompetenzen und Anliegen junger Menschen Raum zu geben.
• Wir fordern einen Ausbau der Friedens- und Demokratiebildung in Schulen und Bildungseinrichtungen.
• Wir empfehlen, die pädagogische Arbeit zur Stärkung der Kompetenzen im Umgang mit Hate-Speech und Mobbing in der analogen und digitalen Kommunikation zu intensivieren.
4. Die europäische Verantwortung für den Frieden
Die Europäische Union (EU) hat sich alsWertegemeinschaft der Achtung der Menschenwürde und der Wahrung der Menschenrechte, der Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet (Lissabon-Vertrag, 2007). Sie hat maßgeblich zu Frieden und Versöhnung zwischen ehemals verfeindeten Staaten in Europa beigetragen und einen historisch einmaligen Stabilitätsraum geschaffen. Wir unterstützen alle Kräfte, die der EU als Projekt des Friedens und der Versöhnung verpflichtet sind. Wir sagen „Ja zu einem Europa in weltweiter Solidarität, das Gleichgültigkeit und Eigeninteressen überwindet, Frieden und Gerechtigkeit übt und sich für die Bewahrung der Schöpfung einsetzt.“ (Kundgebung der EKD-Synode 2016). Die Stärke der EU sehen wir darin, mit zivilen, diplomatischen Mitteln Krisen vorzubeugen, zur Beilegung von Gewaltkonflikten beizutragen und kriegszerstörte Gesellschaften im Wiederaufbau zu unterstützen. Dauerhafter Frieden ist nur zu erreichen, wenn auch die Sicherheit anderer in den Blick genommen wird. Vertrauensbildende Maßnahmen und eine internationale gültige Rechtsordnung spielen dabei eine entscheidende Rolle.
• Gemeinsam mit den anderen Kirchen in Europa wollen wir eine klar vernehmbare Stimme für den Frieden sein. Wir setzen uns in den europäischen kirchlichen Vereinigungen wie Gemeinschaft Europäischer Kirchen in Europa (GEKE) und Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) für diese Ziele ein, wie sie z. B. in der „Charta Oecumenica“ (2001) beschrieben sind.
• Wir fordern, dass die EU vor allem die Institutionen unterstützt, die der Friedensförderung dienen. In Abstimmung mit den Vereinten Nationen, der OSZE und dem Europarat sollte sie die Instrumente für Mediation, Gewaltprävention, zivile Konfliktbearbeitung und Nachsorge sowie für den Friedensaufbau systematisch ausbauen und finanziell deutlich besser ausstatten.
• Wir fordern, dass die gesamte EU-Politik und insbesondere die EU-Nachbarschaftspolitik (ENP) durch faire Handelsbeziehungen, eine gerechte Agrarpolitik sowie glaubwürdige Klima- und Umweltpolitik friedensverträglich und im Sinne globaler Solidarität ausgestaltet werden.
• Wir fordern die EU und ihre Mitgliedstaaten dazu auf, ihre Schutzverantwortung für Flüchtlinge konsequent wahrzunehmen. EU-Missionen zur Seenotrettung sind dringend erforderlich. Es müssen sichere und legale Wege für Schutzsuchende in die EU sowie ein gemeinsames Asylsystem mit fairer Verteilung und möglichst hohen Verfahrens- und Aufnahmestandards geschaffen werden. Das in Artikel 18 der EU-Grundrechtecharta verankerte Recht auf Asyl muss garantiert werden. Wir unterstützen die Bundesregierung dabei, im europäischen Zusammenhang für den Globalen UN-Migrationspakt als Rahmen für eine gemeinsame Regelung migrationspolitischer Fragen zu werben.
• Wir fordern, dass die Regeln der EU zur Rüstungsexportkontrolle - im Einklang mit dem „Gemeinsamen Standpunkt der EU“ von 2008 - restriktiver umgesetzt werden und deren Einhaltung effektiver überwacht wird. Hier sind alle Mitgliedstaaten gefordert, ihre nationale Gesetzgebung und Kontrollinstanzen entsprechend auszurichten. Wir bitten die Bundesregierung, ein Rüstungsexportkontrollgesetz in Deutschland vorzulegen und im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft glaubwürdig dafür zu werben. Sowohl Exporte in Krisenregionen als auch militärische Kooperationen mit Drittstaaten außerhalb der Nato, die Menschenrechte und Demokratie missachten, untergraben die internationale Friedensordnung.
5. Herausforderungen durch Autonomisierung, Cyberraum und Atomwaffen
Autonomisierung und Teilautonomisierung von Waffen
Eine neue friedensethische Herausforderung stellen automatisierte, teilautonome und unbemannte Waffensysteme dar, die auch zur Gefahrenabwehr und damit zum Schutz nicht nur von Soldatinnen und Soldaten, sondern auch von Zivilisten und Zivilistinnen eingesetzt werden. Gleichzeitig gibt es vielfältige Risiken: ein Absinken der Hemmschwelle zum militärischen Einsatz, eine Entgrenzung des Krieges oder auch die völlig ungelösten Fragen der Kontrolle und Verantwortung für die Folgen einer militärischen Aktion. Mit steigendem Autonomisierungsgrad werden diese Risiken größer und beträfen im Falle autonomer und teil-autonomer Systeme auch elementare Fragen der Menschenwürde.
• Bei autonomen Waffen, die der menschlichen Kontrolle entzogen sind, treten wir für eine völkerrechtliche Ächtung ein und appellieren an die Bundesregierung, sich für ein verbindliches Verbot von autonomen Waffensystemen einzusetzen.
• Wir unterstützen die internationale Kampagne „Stop Killer Robots“ zur Ächtung sogenannter Killerroboter.
Cyberraum
Cyberangriffe unterscheiden sich fundamental von herkömmlichen Formen der Kriegführung. Sie finden scheinbar „vollkommen blutlos“ im virtuellen Raum statt, können aber dramatische Wirkungen zeitigen, insbesondere wenn sie vitale Infrastrukturen wie Strom- oder Wasserversorgung treffen. Viele Staaten, auch Deutschland, reagieren darauf mit der Einrichtung von militärischen Cyberkommandos. Ihre Bindung an rechtsstaatliche Verfahren, ihre Kontrolle durch die staatlichen Organe und ihre Verbindung mit nichtmilitärischen Einrichtungen der Aufklärung und Gefahrenabwehr ist zu sichern und zu stärken. Entscheidend ist unter anderem die Resilienz, das heißt die Schaffung sicherer und widerstandsfähiger Infrastrukturen und Vorkehrungen für derenWiederherstellung. Diese einzurichten und weiterzuentwickeln, ist zuvorderst eine Aufgabe für Politik und Wirtschaft.
• Wir sprechen uns dafür aus, bei der Cyber-Abwehr vor allem zivile Strukturen und defensive Maßnahmen zu stärken.
• Wir sehen die Notwendigkeit, zur Vermeidung bzw. Regelung von Konflikten im Cyberraum auf der Grundlage ethischer Kriterien ein völkerrechtlich verbindliches Cyberrecht zu entwickeln und einzuführen. Die Bundesregierung sollte sich im Rahmen der UN dafür einsetzen.
Atomwaffen
Atomwaffen sind Massenvernichtungswaffen und eine existentielle Bedrohung des gesamten menschlichen Lebensraums. Schon die Friedensdenkschrift von 2007 betont, dass die „Drohung mit Nuklearwaffen nicht mehr als Mittel legitimer Selbstverteidigung“ betrachtet werden kann. Politisches Ziel bleibt deshalb ein Global Zero: eine Welt ohne Atomwaffen. Während dieses Ziel breiter Konsens ist, ist der Weg dorthin umstritten. Dennoch erscheint uns heute angesichts einer mangelnden Abrüstung, der Modernisierung und der Verbreitung der Atomwaffen die Einsicht unausweichlich, dass nur die völkerrechtliche Ächtung und das Verbot von Atomwaffen den notwendigen Druck aufbaut, diese Waffen gänzlich aus der Welt zu verbannen. Der Bruch des Budapester Memorandums zu Lasten der Ukraine ist ein massiver Rückschlag im Bemühen um weitere atomare Abrüstung. Die Aufkündigung des INF-Vertrages erhöht noch einmal das Risiko einer nuklearen Aufrüstung. Je länger Atomwaffen produziert, modernisiert, weiterentwickelt und einsatzbereit gehalten werden, desto größer ist die Gefahr, dass es zu einem Einsatz von Atomwaffen oder zu einem katastrophalen Unfall kommt. Es hat sich gezeigt, dass der Atomwaffenbesitz vor Angriffen mit konventionellen Waffen nicht schützt. Dass auch vom deutschen Boden (Büchel) atomare Bedrohung ausgeht, kann uns nicht ruhig lassen. Die Tatsache, dass es noch immer ca. 16.000 Atomsprengköpfe auf der Welt gibt und in den vergangenen Jahren keine Abrüstung im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrages gelungen ist, zeigt, dass der Atomwaffenverbotsvertrag überfällig ist, der 2017 aufgrund einer Resolution der UN-Generalversammlung ausgehandelt wurde.
Wir fordern die Bundesregierung auf, konkrete Schritte einzuleiten mit dem Ziel, den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen. Dies setzt Gespräche und Verhandlungen mit den Partnern in NATO, EU und OSZE voraus:
• über eine Weiterentwicklung des Atomwaffenverbotsvertrages - besonders der Überprüfungsmechanismen,
• über ein weltweites Moratorium der Modernisierung der Atomwaffen,
• über eine Initiative zu negativen Sicherheitsgarantien, d.h. Verpflichtungen der Nuklearwaffenstaaten, keine Nuklearwaffen gegen Nicht-Nuklearwaffenstaaten einzusetzen oder mit ihnen zu drohen,
• über neue Bemühungen für Abrüstung und Rüstungskontrolle.
Vertrauen ist die Grundlage jeder Friedenspolitik und der Schlüssel zu nuklearer Abrüstung.
Ökumenischer Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens
Dankbar erinnern wir uns an die Ökumenische Versammlung „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ 1989 in Dresden. Als Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sind wir mit den Kirchen weltweit verbunden. Auf dem Weg zur Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) 2021 in Karlsruhe folgen wir seinem Aufruf, an dem Ökumenischen Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens einschließlich des Ökumenischen Pilgerweges für Klimagerechtigkeit teilzunehmen. Als Teil der Friedensbewegung Gottes in diese Welt hinein verpflichten wir uns, in unseren eigenen Strukturen und Veränderungsprozessen, in unserem täglichen Handeln sowie in den gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen um Gottes Frieden zu bitten, ihn beständig zu suchen und für Gerechtigkeit und Frieden einzutreten. Wir sind unterwegs in dem Vertrauen, dass Gott unsere Füße auf den Weg des Friedens richtet (Lk 1,79).
Dresden, den 13. November 2019
Die Präses der Synode
der Evangelischen Kirche in Deutschland
Dr. Irmgard Schwaetzer