Grußwort „Friedensethik“ von Bischof Dr. Christian Stäblein (2024)

Grußwort „Friedensethik“

Gemeinsame Tagung der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e.V. (AGDF) und der Ev. Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) am 20. September 2024 in Berlin

Bischof Dr. Christian Stäblein

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Geschwister, 

herzlich grüße ich Sie zu Ihrer Jahrestagung in Berlin – ich beglückwünsche Sie zu einem hoch interessanten Programm, das ich gesehen habe. Und natürlich freut es mich, dass Sie heute Abend in der Garnisonkirche – im Turm – in Potsdam zu Gast sind. Wir sind froh und dankbar, dass wir diesen Turm vor ein paar Wochen mit dem Bundespräsidenten zusammen einweihen konnten – und die Kapelle bereits am diesjährigen Ostermontag. Jede kirchliche Kapelle ist am Ende – wenn sie ihrer Bestimmung nach kommen will – eine Friedenskapelle. Den rechtsnationalen, extremistischen und populistischen Kräften wird sie kein Ort sein, dafür werden wir sorgen, das haben wir zugesagt, dafür stehe ich. Womit wir im Übrigen schon bei einem Thema wäre, das ich jetzt gar nicht groß ausführen möchte, aber das vielleicht immer wichtiger wird: Zur Friedensarbeit gehört auch der innere Frieden in unserem Land. Die Zunahme an Gewalt, die Zunahme der Zerstörung unseres inneren Friedens macht mir große Sorgen. Nehmen wir die Attacken auf Politiker in der letzten Woche – hier in Berlin und Brandenburg der Kultursenator und der Innenminister -, dann ist es erschreckend, was die Fähigkeit zu Diskurs und fairer Auseinandersetzung angeht. Eine wehrhafte Demokratie ist gefragt mit der klaren Perspektive einer Eindämmung und Sanktionierung von Gewalt – der primus usus legis, der Sinn des Gesetzes auch in theologischer Sicht. Just policing – wenn ich mich recht erinnere, hieß und heißt ein mich absolut überzeugendes Konzept der evangelischen Friedensarbeit, überzeugend nach außen und nach innen. 

Aber ich will mich gar nicht vor den Fragen der Zeit drücken, Sie wissen besser als ich, dass die Friedensethik seit ein paar Jahren wieder ganz im Fokus der großen Debatten steht – die Gründe dafür sind furchtbar, die Arbeit ist umso wichtiger heute. 

Ich soll in diesem Zusammenhang heute im Grußwort die friedensethische Position der EKBO darstellen – das ist, mit allen Hinweisen darauf, dass es die friedensethische Position natürlich nicht gibt, aber das ist ja klar – relativ einfach und mit einem Wort zu umreißen: 

Zerrissen. Die Position ist zerrissen. Und das gilt in mindestens dreifacher Hinsicht. 

  1. Zerrissen, weil mit dem Krieg gegen die Ukraine etwas kaputt gegangen ist, was wir uns so sehr ersehnt und gewünscht haben. Eine friedensethische Position, die guten Gewissens und voller Überzeugung alle Logik vom gerechten Frieden nach vorne stellen kann und in pazifistischer Nähe das Primat aller zivilen Lösungen vor allen militärischen Nicht-Lösungen festhält. Das Maß des Möglichen – wie der friedensethische Beitrag der Militärseelsorge heißt – hat sich verschoben. Zerrissen die einhellige, die friedensethischen Diskurse der EKBO und der EKD bestimmende Einhelligkeit. Allenthalben wird ja eine Überarbeitung der friedensethischen Denkschrift von 2007 gefordert – in der Sache scheint mir das nicht unbedingt nötig, die rechterhaltende Gewalt ist dort auch für den jetzt vorliegenden Fall des Angriffskrieges gegen ein Land ausreichend bestimmt und benannt und mit Kriterien versehen, in der Konsequenz wäre eine solche Überarbeitung also nicht zwingend. Allerdings ist die Welt, in die hinein die Denkschrift 2007 formuliert, eine andere – bestimmt von asymmetrischen Kriegen, nicht von imperialen Feldzügen einer Großmacht. Und auch der Drohnen- und jetzt auch Techno-Krieg a la Libanon Israel kommt dort noch nicht in den Blick. Der KI-Einsatz im Krieg wird eine Überarbeitung der Denkschrift erst recht nötig machen. Gut, dass es die Friedenswerkstatt gibt, die an diesen Fragen arbeitet.
  2. Zerrissen ist die Position, weil wir – wie überall – ein Zerfallen in die klassischen zwei Positionen gibt: die pazifistische – oder vor allem auf zivile Lösungen setzende, Waffen in jeder Hinsicht ablehnende. Eine Position, die sich aus dem friedensethisch-jesuanischen Diskurs nährt und wächst und von da alle Überzeugungskraft hat. Ich scheue mich etwas zu sagen: aus dem biblischen Zeugnis genährt, denn das ist vielstimmig und ehrlicherweise nicht durchgehend und vielfach auch nicht pazifistisch – ich komme darauf gleich noch. 
    Die andere klassische Position ist die der Anerkennung des Dilemmas mit der Option, aus diesem heraus an der Seite der Schwachen und Angegriffenen Verantwortung auch mit Waffen zu übernehmen – als ultima ratio, als primus usus legis, als Anerkennung, auch ohne Waffen am Tod von Menschen, dann der Wehrlosen schuldig zu werden. 
    Sehr geehrte Damen und Herren, ich reduziere an dieser Stelle, unsachgemäß, alle wollen ja auch viel den Primat und die Unterstützung ziviler Lösungsansätze und die Stärkung der zivilen Friedensinitiativen. Es ist nie die Alternative der keinen Verhandlung, nur die Primate werden anders verteilt bzw. die Einschätzung, wie man zu Verhandlungen tatsächlich kommt und welche Lösungen beim Verhandeln erreicht werden können – unter welchem Druck oder welcher Freiheit.
    Wie auch immer: zerrissen ist die Position der EKBO, weil beide Positionen vorkommen, ich könnte nicht mal sagen, welche stärker. Natürlich gibt es die Tradition klassischer Ost-Friedensarbeit, stark und kräftig und mit den Aufnähern Schwerter zu Pflugscharen. Es gibt aus dieser Tradition die sehr direkte Erwartung einer einfachen friedensethischen Positionierung der Kirche. Und Sarah Wagenknecht ist hier klassische Repräsentantin einer Position, die man auch von der Kirche erwartet. 
    Und es gibt aber genauso, gerade in der jüngeren Generation und in der nicht unbedingt Ost oder West zuzuordnenden Alterskohorte eine Tendenz auch zu der klaren Unterstützung der Ukraine auch mit Waffen. 
    Schließlich – das soll man nicht verschweigen – gibt es auch eine Ost-Tradition, gerade unter den Grünen, die die Position der Ost-Friedensbewegung neu kontextualisieren will – und das heißt dann: heute mit Unterstützung von Waffen als rechtserhaltender Gewalt. 
  3. Zerrissen – weil, wenn ich die Position der EKBO benennen sollte – alles andere als eben diese Beschreibung unfair wäre. Und ich finde sie theologisch auch ganz angemessen. Es gibt keine bruchlose Position hierzu, kein Gewissen, das nicht zerrissen wäre, nicht angefochten wäre. Und in dieser Anfechtung, denke ich, gibt die Bibel eine klare Tendenz, sie gibt keine Dogmatik, aber sie gibt vor, was Richtung der Zusage Gottes ist: ein Weg zu einem Frieden, der nie aus dem Blick geraten darf. Ein Weg mit Mitteln, die immer, immer eher ohne als mit Gewalt sein müssen. Und ein Nicht übergehen, was Grund und Mittel aller evangelischen Friedensethik sein und bleiben muss: das Gebet. Wir haben etliche Kirchen, die seit Anfang des Krieges Friedensgebete abhalten. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gehört dazu. Mir war und ist das wichtig. Unsere Aufgabe ist das Gebet für die Schwachen. Die Fürbitte. Und das Handeln aus dem Gebet heraus. Im Gebet geht die Zerrissenheit vor Gott und bittet um Heilung. Um den Frieden, nicht wie die Welt ihn gibt, sondern wie Gott ihn schenkt. 

Zerrissen ist eine gut biblische Position, weil Gott in den Brüchen zu Hause ist. Und dort den Frieden mit uns sucht und dazu befähigt. Insofern würde ich eine Friedensethik für die EKBO sehen, die Spannungen zulässt und Brüche nicht negiert. Man kann für Waffenlieferungen sein, aber dennoch entschieden den Frieden und die Verhandlungen und die Mahnung zum Niederlegen der Waffen und das Gebet nach vorne stellen. Man kann an der Seite der Angegriffenen stehen und dennoch den Frieden und die zivilen Lösungen nicht aus dem Blick geben. Und es ist entscheidend, dass wir uns von der Logik des Krieges nicht gefangen nehmen lassen. Krieg nimmt in seiner Eigendynamik immer gefangen, plötzlich sind alle Waffenexperten. Wir müssten aber Verhandlungsexperten sein. Christen sind am Ende immer Waffenniederlegungsexperten.

Beides muss möglich sein: rechtserhaltende Unterstützung. Und Waffenniederlegungsdiplomatie und Voranschreiten. Im Namen Gottes. Vielen Dank.