Gedanken zum Frieden (2024)
Als Vertreterinnen und Vertreter der Friedensarbeit in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg nehmen wir die verschärften Spannungen und Polarisierungen unmittelbar wahr, die seit dem Ausbruch des Ukrainekrieges und des Krieges im Nahen Osten unsere ganze nationale wie internationale Gesellschaft und darin natürlich auch unsere Kirchen betreffen. Je nach eigener Haltung pflichten Menschen den offiziellen kirchlichen Verlautbarungen bei oder sind empört. Dies als kleine, wenig überraschende Situationsbeschreibung.
Was kann unsere Kirche tun? Und was ist die Aufgabe kirchlicher Friedensarbeit in dieser Situation?
Das Gebet für den Frieden ist der Anfang allen Tuns. In der liturgischen Hinwendung zu einer uns Menschen übersteigenden Schöpferkraft anerkennen wir unsere Begrenztheit, bitten um Kraft und Weisheit, die Welt nach Gottes Willen zu gestalten und geben die letzte Verantwortung für das Leben aus der Hand.
So ausgerichtet ist es Aufgabe von Kirche, zu reden: Innerhalb der eigenen Institution, aber auch und immer mehr in die säkulare Welt hinein deren Teil wir sind. Menschen, Initiativen ins Gespräch bringen, Ideen austauschen, Meinungen bestärken oder hinterfragen, Unterschiedlichkeiten aushalten. Das Leben in all seinen Schattierungen fördern, schützen, bewahren und in einer Art sturen Hoffnung daran festhalten, dass wir an einen Gott des Friedens glauben, der im ersten Buch Mose ganz zu Beginn unserer Heiligen Schrift über seine Schöpfung befindet: „Und siehe: Es war sehr gut.“
Unsere Gedanken stellen keinen erneuten Aufruf zu dem Pro und Contra von Waffenlieferungen oder einer einseitigen Solidarität mit Israel oder Palästina dar, sondern sind Ausdruck dessen, was uns mehr und mehr erschüttert: Die viel zitierte „Unfähigkeit zu Trauern“ (Margarete und Alexander Mitscherlich, 1967) kommt uns in den Sinn, wenn Eindeutigkeit propagiert und verlangt wird – eindeutig gut und eindeutig böse: Diese Zuschreibungen helfen uns, auf der richtigen Seite, also der Seite der Guten zu stehen.
Nein, wir relativieren nicht das klar Erkennbare: Selbstverständlich wurde die Ukraine völkerrechtswidrig von Russland angegriffen. Selbstverständlich ist der unfassbar brutale Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 durch nichts zu rechtfertigen. Dennoch wollen wir der Versuchung widerstehen, Gut und Böse vereindeutigten Lagern zuzuordnen, um schließlich mit den Opfern der einen Seite solidarisch zu sein und bei den Opfern der anderen Seite ratlos mit den Schultern zu zucken. Das Bedürfnis nach Eindeutigkeit ist menschlich verständlich, denn unser gelingendes Zusammenleben basiert vor allem auf klaren Verhältnissen.
Vereinfachungen führen zu so genannten Lösungen, die Eindeutigkeit signalisieren. Genau zu wissen, wer die Guten sind und wer die Bösen, hilft, die Unordnung der Trauer in geordnete Bahnen zu lenken. Doch wir fragen: Ist ein junger ukrainischer Mann, der als Soldat starb, mehr oder weniger ein Kind Gottes als ein junger russischer Mann, der als Soldat starb? Ist eine am 7. Oktober 2023 in Israel bestialisch vergewaltigte und ermordete Frau mehr oder weniger ein Kind Gottes als ein Kind im Gazastreifen, das bisher noch von keinem Bombensplitter getötet, aber heute in Folge des Hungers gestorben ist? Wir wünschen uns mehr „Und“ – auch in unserer Landeskirche: Wir trauern über tote Menschen aus der Ukraine und aus Russland. Wir trauern über tote Menschen in Israel und im Gazastreifen.
So gegründet treten wir einen Schritt zurück von den Eindeutigkeiten dieser Tage und stellen fest: Wenn aus christlicher Sicht die Kriege unserer und aller Zeiten immer neu eine Bankrotterklärung des Menschen an sich selbst und an das Leben sind, dann soll und darf uns das nicht davon abhalten, an Besseres zu glauben und die Schritte dorthin im Glauben zu gehen.
Das heißt auch, kritisch zu fragen, was seit der so genannten Zeitenwende (die eine deutsche sein mag, gewiss jedoch keine globale Zeitenwende ist) eindeutig zu sein scheint: Dass es Sicherheit für uns Menschen dann gibt, wenn wir genug und besser als die anderen (also die Bösen) gerüstet sind. Dieser Begriff von Sicherheit basiert auf grundsätzlichem Misstrauen. Als Christenmenschen üben wir uns jedoch darin, einander zu vertrauen.
Dieses Vertrauen brauchen wir, da wir als Menschheit vor großen Herausforderungen wie der Klimakrise stehen, die wir nur gemeinsam, gerecht und friedlich miteinander bewältigen können. Die Analysen des Weltklimarates sind eindeutig. Alle Waffen dieser Welt werden uns nicht vor unseren eigenen zu hohen Emissionen schützen.
Insofern ist eine andere Zeitenwende im Sinne von Gottes Friedenshandeln notwendig: Sicherheit wird es erst dann geben, wenn wir als Menschen zu einem Frieden finden, in dem die Ressourcen fair und klimagerecht verteilt sind und möglichst viele Orte unseres Planeten sinnvoll bewohnbar bleiben. Hoffnungsstärkende Beispiele dazu gibt es Gott sei Dank auf der ganzen Welt. Diese zu benennen und Friedensinitiativen Raum zu geben, ist ein konkreter Beitrag kirchlicher Friedensarbeit.
„Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.“ – mit diesem Trost- und Mutwort aus dem Philipperbrief und damit mit dem Hinweis auf die Begrenztheit aller, also auch unserer Vernunft, schließen wir.
Pfarrer Stefan Schwarzer, Friedenspfarramt der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) in Württemberg
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