Friedensfachkraft: Nicht allein militärische Dimension im Blick haben

Wustrow, Berlin (epd). Der Politikwissenschaftler Felix Schimansky-Geier hat davor gewarnt, im Krieg Russlands gegen die Ukraine allein die militärische Dimension im Blick zu haben. Insgesamt seien angesichts der Konflikte in der Welt deutlich mehr Investitionen in den Zivilen Friedensdienst nötig, sagte er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Schimansky-Geier ist seit 2016 für den Zivilen Friedensdienst (ZFD) in der Ukraine tätig. Im Augenblick ist er evakuiert.

Für den Zivilen Friedensdienst sind nach seinen Angaben deutsche Fachkräfte in mehr als 40 Ländern im Einsatz. Der Bund finanziere das mit 55 Millionen Euro im Jahr. „Wenn dieser Betrag auch nur auf eine Milliarde aufgestockt würde: Es wäre ein Meilenstein“, sagte Schimansky-Geier, der von der niedersächsischen „Kurve Wustrow - Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion“ entsendet worden ist.

Zwar seien die 13 Friedensfachkräfte aus Deutschland zurzeit alle nicht mehr in der Ukraine, berichtete er. Dennoch gehe die Arbeit der ukrainischen Partnerorganisationen dort weiter. „Sie koordinieren humanitäre Hilfe, bieten psychosoziale Hilfe, stellen geprüfte Informationen zur Verfügung. Dabei können wir ihnen helfen.“

Vor dem russischen Angriff hätten die Mitarbeitenden des Zivilen Friedensdienstes mit ihren Partnern in unterschiedlichen Projekten gearbeitet, sagte er. So hätten sie Menschenrechtsverletzungen im Osten des Landes objektiv und unabhängig dokumentiert. „Denn detaillierte Daten, die das Leid der Zivilbevölkerung deutlich machen, sind unabdingbar für jeden künftigen Dialog und jede Versöhnung“, betonte er. „Ein weiterer Schwerpunkt war, Menschen bei der Bewältigung traumatischer Erlebnisse zu unterstützen.“

Auch ohne Waffen, versuchten die Menschen im Land, den Angreifern zu trotzen. „Im Norden der Krim, im Oblast Kherson, demonstrieren fast täglich unbewaffnete Ukrainer gegen die russische Besetzung“, sagte Schimansky-Geier. „Das ist kein landesweiter, systematischer Protest, wie er im Konzept sozialer Verteidigung vorgesehen ist. Doch auch solche spontanen Aktionen vor Ort zeigen den Angreifern: Ihr seid nicht willkommen.“

Wahr sei aber auch: „Ukrainische Aktivisten werden eingeschüchtert, bedroht, verschleppt“, wandte er ein. „Wir unterstützen gewaltfreien Widerstand, wo immer er möglich ist. Trotzdem sollen sich Menschen dadurch nicht selbst in Lebensgefahr bringen.“

Das Interview im Wortlaut: 

epd: Sie arbeiten derzeit von Berlin aus. Wann haben Sie Kiew verlassen?

Felix Schimansky-Geier: Ich bin Mitte Februar mit meiner Familie in die West-Ukraine gereist. Am 24. Februar wurde ich dort um fünf Uhr wach und sah auf Twitter, dass die russische Invasion begonnen hat. Zugleich hörten wir Geräusche von Raketen, die wohl einem Militärflughafen in der Nähe galten. Nach einer 36-stündigen Autofahrt erreichten wir dann die polnische Grenze.

epd: Sind noch deutsche Friedensfachkräfte in der Ukraine?

Schimansky-Geier: Bisher waren es 13, entsandt von drei deutschen Organisationen des Zivilen Friedensdienstes. Derzeit sind alle evakuiert.

epd: Welche Aufgaben hatten die Fachkräfte bisher?

Schimansky-Geier: Wir arbeiten immer mit lokalen Partnern zusammen. Zum Beispiel haben wir unsere ukrainische Partnerorganisation dabei unterstützt, Menschenrechtsverletzungen im Osten des Landes zu dokumentieren, objektiv und unabhängig. Denn detaillierte Daten, die das Leid der Zivilbevölkerung deutlich machen, sind unabdingbar für jeden künftigen Dialog und jede Versöhnung. Eine multimediale Ausstellung zu diesem Thema war in den vergangenen zwei Jahren an mehr als 30 Orten in der gesamten Ukraine zu sehen, in Schulen und Rathäusern, in Kulturhäusern, auf Marktplätzen und in Kirchen.

epd: Und weitere Beispiele?

Schimansky-Geier: Mit Workshops und Trainings haben wir zivilgesellschaftliches Engagement und konstruktive Konfliktbewältigung gestärkt. Wir haben Polizeikräfte geschult, damit sie in Stress-Situationen ruhig und besonnen reagieren. Ein weiterer Schwerpunkt war, Menschen bei der Bewältigung traumatischer Erlebnisse zu unterstützen.

epd: Was bleibt von dieser Arbeit angesichts von Krieg und Flucht?

Schimansky-Geier: Die Bildungs- und Informationsarbeit mit den Menschen vor Ort ist nicht verloren. Und vieles geht auch jetzt weiter. Denn die ukrainischen Partnerorganisationen setzen ihre Arbeit ebenfalls fort, meist von Standorten in der Westukraine. Sie koordinieren humanitäre Hilfe, bieten psychosoziale Hilfe, stellen geprüfte Informationen zur Verfügung. Dabei können wir ihnen helfen.

epd: Gibt es Beispiele, wie sich die ukrainische Bevölkerung ohne Gewalt gegen das russische Militär zur Wehr setzt?

Schimansky-Geier: Wir haben gesehen, wie ukrainische Bauern mit ihren Traktoren russische Panzer wegschleppen. Oder wie sich eine Menschenmenge russischen Militärfahrzeugen entgegenstellte, die daraufhin umkehrten. Im Norden der Krim, im Oblast Kherson, demonstrieren fast täglich unbewaffnete Ukrainer gegen die russische Besetzung.

Das ist kein landesweiter, systematischer Protest, wie er im Konzept sozialer Verteidigung vorgesehen ist. Doch auch solche spontanen Aktionen vor Ort zeigen den Angreifern: Ihr seid nicht willkommen. Damit hatten die russischen Kräfte offenbar nicht gerechnet. Wahr ist aber auch: Ukrainische Aktivisten werden eingeschüchtert, bedroht, verschleppt. Wir unterstützen gewaltfreien Widerstand, wo immer er möglich ist. Trotzdem sollen sich Menschen dadurch nicht selbst in Lebensgefahr bringen.

epd: Für die militärische Auseinandersetzung werden derzeit Milliardensummen bewegt. Wie sieht es dagegen bei der zivilen Konfliktbearbeitung aus?

Schimansky-Geier: Für den Zivilen Friedensdienst sind deutsche Fachkräfte in mehr als 40 Ländern tätig. Der Bund finanziert das mit 55 Millionen Euro im Jahr. Wenn dieser Betrag auch nur auf eine Milliarde aufgestockt würde: Es wäre ein Meilenstein und weitaus nachhaltiger als der alleinige Fokus auf die militärische Dimension.

epd: Wann werden Sie in die Ukraine zurückkehren?

Schimansky-Geier: Noch in diesem Jahr, hoffe ich. Aber das liegt am Fortgang des Krieges. Auf kurze Zeit ist kein Waffenstillstand in Sicht.

Hintergrund:

Wustrow, Berlin (epd). Den Zivilen Friedensdienst (ZFD) gibt es seit 1999. Er wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert und von neun Organisationen durchgeführt, darunter „Brot für die Welt“, Eirene und Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).

Der ZFD versteht sich als Programm für Gewaltprävention und Friedensförderung in Krisen- und Konfliktregionen. In 44 Ländern unterstützen derzeit rund 370 deutsche Fachkräfte Menschen vor Ort langfristig in ihrem Engagement für Dialog, Menschenrechte und Frieden.

Zu den entsendenden Organisationen zählt auch die „Kurve Wustrow - Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion“. Der gemeinnützige Verein hat seine Geschäftsstelle und ein Tagungshaus im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg. Zurzeit hat der Verein rund 25 Friedensfachkräfte entsandt, neben der Ukraine unter anderem nach Myanmar, Sri Lanka, Palästina/Israel, in den Sudan und auf den Westlichen Balkan.