Konfliktforscher Zick: Der Krieg ist mit keiner Demokratie vereinbar

Bielefeld (epd). Der Ukraine-Krieg führt nach Worten des Konfliktforschers Andreas Zick auch außerhalb des Kriegsgebietes zu einer massiven Gefährdung der Demokratie. Terror, neuer Extremismus, Desinformationskampagnen und Kriegspropaganda beschränkten sich nicht auf die Kriegsgebiete, sondern seien Teil des Krieges, sagte der Direktor des Bielefelder Konfliktforschungsinstituts dem Evangelischen Pressedienst (epd). Angesichts von Solidaritätsdemonstrationen für den russischen Präsidenten Wladimir Putin wirbt der Experte dafür, Propaganda und Verschwörungstheorien mit Aufklärung und Zivilcourage zu begegnen.

epd: Nach Solidaritätsdemonstrationen für die Ukraine gehen in Deutschland zunehmend Demonstranten für Putin auf die Straße. Was sind das für Demonstrationen?

Zick: Es sind zunächst prorussisch und mit Putin und Russland hoch identifizierte Menschen, die zumeist schon vor dem Krieg miteinander verbunden waren. Die Identifikation mit Russland und der Ideologie, dass Russland im Krieg gegen vermeintliche „Nazis“ ist, ist der entscheidende Faktor. Die angegriffenen, verletzten und getöteten Ukrainerinnen und Ukrainer werden als Opfer der ukrainischen Elite betrachtet und damit der Krieg ausgeblendet. Es sind nationalpopulistische Gruppen, die sich über WhatsApp, Telegram und auf anderen Kanäle schon vor dem Krieg gebildet haben. Sie konsumieren russische Medien und Propaganda. Das halten sie für die Wahrheit.

epd: Welche Gruppierungen finden dort zusammen?

Zick: Die Demonstrationen sind offen für alle Russlanddeutsche, für rechtspopulistische wie rechtsextreme und andere prorussische Gruppen. Am Rande werden sich auch Menschen, die mit Russland verbunden sind und sich über die Russland-Feindlichkeit hier wie in der Ukraine Sorgen machen, anschließen.

epd: Woher kommt in Deutschland die Sympathie für Putin?

Zick: Bereits während der Fluchtzuwanderung im Jahr 2015 und später während der Corona-Proteste haben sich prorussische Gruppen gebildet, die die russischen Medien konsumiert haben. Jetzt ist Krieg und das Mobilisierungspotenzial hoch, weil das Freund-Feind-Schema greift. Kriegsfolgen müssen umso mehr mit Ideologien wegerklärt werden.

In solchen Zeiten bilden sich auch außerhalb der am Krieg beteiligten Länder extremistische Gruppen, weil sich Gewalt und Ideologien verbinden. Inwieweit die Mobilisierung in Teilen von Russland aus gesteuert wird, ist zu analysieren. Russland hat auf jeden Fall Interesse an Demonstrationen, und das können wir sichtbar machen.

epd: Sehen Sie in den Pro-Putin-Demonstrationen eine Gefahr für die Demokratie?

Zick: In vielen Gruppen werden demokratieferne bis demokratiefeindliche Ideologien vertreten, auch wenn die Anhänger das in Teilen nicht merken. Die russische Regierung vertritt eine national-autoritäre und -populistische Ideologie: Putin hat in seiner Rede an das Volk am 22. Februar von Blut und Boden gesprochen.

Der Krieg ist mit keiner Demokratie vereinbar. Kriege erzeugen massive Demokratiegefährdungen. Terror, neuer Extremismus, Desinformationskampagnen, Bewaffnungen, Kriegspropaganda - all das beschränkt sich ja nicht auf die Kriegsgebiete, sondern ist Teil des Krieges. Der Krieg soll auch im Ausland für Unruhe sorgen und er soll die Russinnen und Russen im Ausland mobilisieren.

epd: Wie verträgt sich das mit einer zunehmend globalisierten Welt?

Zick: Kriege erzeugen Radikalität, Extremismus und Terror - auch im Ausland. Das wissen wir aus allen Kriegen. Die Kriege in Syrien, Afghanistan und dem ehemaligen Jugoslawien hatten auch ihre Folgen. Sie haben Extremismus und Terror erzeugt.

Wir leben in einer globalen und offenen Welt mit Menschen aus unterschiedlicher Herkunft. Das macht offene Gesellschaften stark, aber es geht auch nicht ohne Konflikte. Hier leben Menschen, die sich jetzt extrem mit Putin identifizieren. Wir müssen wissen, was das heißt und präventiv denken. Nur Empörung oder Strafverfolgung von Propagandadelikten reicht nicht.

epd: Wie große ist der Rückhalt in Deutschland für Pro-Putin-Aktivisten?

Zick: Der Rückhalt ist nicht groß. Aber es ist eine große Gruppe an Menschen, die sich russisch fühlen, sich mit Putin identifizieren. Aus Russland wissen wir, dass 80 Prozent hinter Putin stehen. Das wird unter prorussischen Menschen hier nicht viel anders sein. Der Krieg spaltet die Menschen in Gruppen.

epd: Wie kommt es, dass Menschen in der westlichen Welt, denen alle Informationskanäle zur Verfügung stehen, von der russischen Verschwörungserzählung überzeugt sind?

Zick: Wir kennen die Kraft der Verschwörungsmythen aus den Corona-Protesten: Sie schaffen ein erklärendes Weltbild. Die Leute meinen, sie verstünden die Zusammenhänge und wüssten, wer die Welt kontrolliert. Wer Verschwörungsmythen teilt, will auch andere beeinflussen. Diese Menschen schaffen gemeinsamen Selbstwert, koppeln sich oft an Feindbilder, die mit einer aufgeblasenen Selbstaufwertung einhergehen. Sie trennen die Welt in Misstrauen und Vertrauen. Solche Mythen ersetzen Ungewissheiten, die infolge von Kriegen besonders hoch sind. Aber sie funktionieren eben nur, wenn sie Gruppen bilden können, die sich dann gegenseitig als Glaubensgemeinschaft einschwören.

epd: Wie sollte man auf Pro-Putin-Aktivisten reagieren?

Zick: Wir müssen unterscheiden, ob die Pro-Putin-Haltung eine Sympathie ist, die aus Gefühlen von Zugehörigkeit kommt, oder einhergeht mit politischen und demokratiegefährdenden Ideologien, also extremistisch sind. Demokratiegefährdende prorussische Ideologien werden massiv in den sozialen Medien und über die russischen Medien verbreitet.

Der digitalen Propaganda kann mit neuen und innovativen digitalen Strategien begegnet werden. Dazu muss dringend die Analyse und systematische Entdeckung und Aufklärung über die digitale Propaganda und Kriegsführung ausgebaut werden. Darüber hinaus gelten die Regeln der Radikalisierungs- und Extremismusprävention. Sie reichen von strafrechtlicher Verfolgung, wie es gerade überlegt wird, etwa bei Gewaltsymbolen wie dem „Z“, bis hin zur Ansprache von extremismusanfälligen Menschen.

epd: Wie kann eine Prävention gelingen?

Zick: In russischen Communities kursieren Geschichten über Opfer. Menschen machen die Erfahrung, dass sie wegen Putin herabgewürdigt werden. Da greift eine Prävention von Vorurteilen, wie auch die Stärkung von Zivilcourage. Zudem ist in einem solchen Kriegsfall die Verständigung über Kriegs- und Konfliktursachen immens wichtig. Eine aufgeklärte Gesellschaft lässt sich nicht so schnell von Agitation anstecken. Also gehört die Diskussion und Bildung auch dazu.

epd: Wie kann das konkret aussehen?

Zick: Gerade junge Menschen fragen sich, was da gerade passiert, ob der Krieg eskaliert und wie Frieden möglich ist. Zu den Themen müssen wir Zeit und Raum reservieren. Nicht zuletzt wirkt die Solidarität, die mit den ukrainischen Geflüchteten geübt wird. Sichtbare Zivilcourage und Solidarität, wie Aufklärung über die Agitation und Propaganda mögen extremistische Gruppen nicht.