Experte: Initiative aus Afrika könnte Weg für Ukraine-Gespräche ebnen

Frankfurt a.M. (epd). Die afrikanische Friedensinitiative für die Ukraine kann nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Henning Melber den Weg für Verhandlungen ebnen. Die geplanten Treffen mit Russland und der Ukraine könnten den Krieg nicht beenden. „Da muss man vor überzogenen Erwartungen warnen“, sagte der Afrikanist dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Aber die afrikanischen Länder können vielleicht dazu beitragen, dass die Konfliktparteien miteinander reden und dann einflussreichere und besser vernetzte Länder wie die Türkei die eigentlichen Verhandlungen führen können.“

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hatte Mitte Mai angekündigt, bald zusammen mit den Staatschefs von Sambia, Senegal, Kongo-Brazzaville, Uganda und Ägypten nach Russland und in die Ukraine zu reisen, um zu einer Beilegung des Konfliktes beizutragen.

Der Krieg treffe Afrika schwer, sagte Melber, der an verschiedenen Universitäten in Europa und Afrika lehrt. „Das alleine ist Motiv genug, aus afrikanischer Sicht diese Initiative zu verfolgen.“ Dem Westen stehe es nicht zu, dies zu kritisieren oder gar zu belächeln. „Die Grundhaltung müsste sein, jede Initiative zu begrüßen, besonders von afrikanischen Ländern, denen immer wieder vorgehalten wird, gegen Neutralitätsgebote zu verstoßen.“ Es wäre auch falsch zu sagen, der Vorstoß wäre gescheitert, wenn innerhalb der nächsten drei Monate kein Friedensgespräch zustande kommt.

Die Kritik, dass dreien der sechs beteiligten afrikanischen Präsidenten selbst gravierende Menschenrechtsverbrechen vorgeworfen werden, lässt Melber nicht gelten. „Ist das erheblich für eine solche Initiative? Wenn sie dazu beiträgt, Verhältnisse zu befördern, in denen die Konfliktparteien eher miteinander reden, ist es doch egal, wie demokratisch diese Länder sind.“ Bei anderen Konflikten lege der Westen solche Maßstäbe auch nicht an.

Diese doppelten Maßstäbe des Westens trügen auch dazu bei, dass die afrikanischen Staaten sich nicht uneingeschränkt auf die Seite der Ukraine stellen. Der Westen habe bestimmte Aggressionskriege und Invasionen gerechtfertigt und Kritik etwa zu seinem Agieren in Syrien oder dem Irak abgetan. „Aus Sicht der Afrikaner, die über Generationen immer nur gesagt bekommen haben, was sie zu tun haben, ist das ein Akt des Widerstands.“

Leider führe das nun dazu, dass auch die afrikanischen Länder mit doppelten Maßstäben argumentierten, kritisierte Melber. Denn in der Charta der Afrikanischen Union sei die territoriale Integrität als fundamentales Prinzip festgehalten. „Und die wird in der Ukraine verletzt.“ Zugleich gebe zumindest Südafrika mit verschiedenen Aktionen - zuletzt mit der Vermutung, dass es Waffen an Russland liefere - Anlass dafür, an seiner Neutralität zu zweifeln. „Es gibt Werte, die sind nicht verhandelbar. Selbst wenn der Westen gegen sie verstößt, ist das keine Entschuldigung für Afrika, es ebenfalls zu tun.“

Das Interview im Wortlaut:

epd: Gemeinsam mit fünf weiteren afrikanischen Staatschefs hat Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa eine Friedensinitiative für den Ukraine-Krieg angekündigt. Wie schätzen Sie deren Chancen ein?

Melber: Das wird keine richtige Friedensinitiative sein. Da muss man vor überzogenen Erwartungen warnen und nicht sagen, sie haben ihre Aufgabe nicht erfüllt, wenn nicht innerhalb der nächsten drei Monate ein Friedensgespräch zustande kommt. Aber die afrikanischen Länder können vielleicht dazu beitragen, dass die Konfliktparteien miteinander reden und dann einflussreichere und besser vernetzte Länder wie die Türkei die eigentlichen Verhandlungen führen können. Dieser Krieg trifft Afrika schwer. Das alleine ist Motiv genug, aus afrikanischer Sicht diese Initiative zu verfolgen.

epd: Auf Ramaphosas Ankündigung ist in westlichen Ländern auch mit einer gewissen Herablassung reagiert worden, darüber, was sie ausrichten kann. Was halten sie davon?

Melber: Das ist fehl am Platz und ein Zeichen für die Arroganz der Macht. Es ist fatal, die Bemühungen zu belächeln und verstärkt wiederum die Reaktion aus dem Süden, sich Belehrungen zu verbitten. Die Grundhaltung müsste sein, jede Initiative zu begrüßen, besonders von afrikanischen Ländern, denen immer wieder vorgehalten wird, gegen Neutralitätsgebote zu verstoßen.

epd: Kritik gibt es auch dahin gehend, dass dreien der sechs Präsidenten der Initiative gravierende Menschenrechtsverstöße vorgeworfen werden.

Melber: Ist das erheblich für eine solche Initiative? Dann müsste man auch genauer gucken, wer auf Seiten der Ukraine kämpft. Wer trägt da Nazi-Symbole an der Uniform? Das wird ja auch nicht gemacht. Wenn diese Initiative dazu beiträgt, Verhältnisse zu befördern, in denen die Konfliktparteien eher miteinander reden, ist es doch egal, wie demokratisch diese Länder sind. Wenn die weniger demokratischen Regime auf Seiten des Westens sind, kommt auch keiner auf die Idee zu sagen, dass man mit ihnen nichts zu tun haben will. Das ist scheinheilig.

epd: Trägt dies dazu bei, dass die afrikanischen Länder sich nun nicht uneingeschränkt hinter die Ukraine stellen?

Melber: Das ist genau der Punkt, diese doppelten Maßstäbe werden an diesem Beispiel deutlich. Bestimmte Aggressionskriege und Invasionen wurden immer gerechtfertigt und Kritik am Westen zu Syrien oder Irak abgetan. Aber in diesem Fall wird verlangt, dass alle Russland kritisieren. Aus Sicht der Afrikaner, die über Generationen immer nur gesagt bekommen haben, was sie zu tun haben, ist das ein Akt des Widerstands. Man muss es als einer Reaktion auf 200, 300 Jahre asymmetrischer Gewaltverhältnisse verstehen. Gleichzeitig legen die afrikanischen Staaten jetzt auch diese doppelten Maßstäbe an.

epd: Inwiefern?

Melber: Die Charta der Afrikanischen Union hält die territoriale Integrität als ein fundamentales Prinzip fest. Und die wird in der Ukraine verletzt. Es gibt Werte, die sind nicht verhandelbar. Selbst wenn der Westen gegen sie verstößt, ist das keine Entschuldigung für Afrika, es ebenfalls zu tun.

epd: Wieso scheuen denn afrikanische Staaten zurück, Russland zu kritisieren?

Melber: Russland war in Afrika über Propaganda und Präsenz immer sichtbar, die Ukraine nicht. Was in Südafrika und Namibia dazu kommt, ist die nostalgisch verklärte Rückschau auf die Solidarität der Sowjetunion im Befreiungskampf, die selektiv ist, weil die Ukraine Teil der Sowjetunion war und den Befreiungskampf genauso ideologisch und materiell unterstützt hat wie das heutige Russland. Aber viele stellen diesen Zusammenhang nicht her. Es besteht auch eine Ignoranz, die Russland zugutekommt.

epd: Wird die Präsenz Russlands in Afrika überschätzt?

Melber: Wirtschaftlich ja. Russland ist in Afrika einflussreich, wenn es um Waffenlieferungen geht, und da besonders in autokratischen Regimen und Westafrika und am Horn von Afrika. Und das sind genau die Regime, die jetzt am treuesten sind, was die Positionierung gegenüber Russland sind. Aber Südafrika ist auf diese Waffenlieferungen nicht angewiesen, das ist ein legitimes politisches System, das keiner militärischen Unterstützung bedarf. Zugleich machen die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland nur etwa 0,01 des Bruttosozialprodukts aus, während die USA zu den wichtigsten Handelspartnern gehören.

epd: Wie sehen Sie die Vorwürfe, Länder wie Südafrika verhielten sich in dem Konflikt nicht so neutral wie sie vorgeben?

Melber: Südafrika löst seinen Anspruch auf Neutralität im Moment nicht ein. Die USA vermuten, dass Südafrika Waffen an Russland geliefert hat. Das ist angesichts der Menge und der Qualität dieser Waffen für den Verlauf des Krieges eher unerheblich, ist aber ein absoluter Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip. Südafrika ist deshalb unter erheblichem Druck, weil die ernste Sorge besteht, dass die USA Südafrika den steuerfreien Zugang für südafrikanische Waren in den US-Markt einstellen könnten. Das wäre wirtschaftlich katastrophal und da fragt man sich, welcher Teufel die Südafrikaner da reitet.