"Wir müssen uns mehr um die arabischstämmige Jugend kümmern"

Ilmenau (epd). Nicht erst seit dem brutalen Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober beklagen Thüringens Jüdinnen und Juden eine Zunahme des muslimischen Antisemitismus. Wo er öffentlich werde, müsse härter durchgegriffen werden, fordert der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Thüringens, Reinhard Schramm. Doch es gebe auch Solidarität von islamischen Verbänden, auch wenn diese oftmals nur leise geäußert werde, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Ilmenau.

epd: Herr Schramm, der aktuelle Terror gegen ihre jüdischen Glaubensbrüder in Israel wird verübt im Namen Allahs. Wie ist ihr Verhältnis zum Islam?

Reinhard Schramm: Die Hamas steht nicht für den Islam. Ihr Terror wird ja übrigens auch von der Mehrheit der Muslime abgelehnt. Weltweit und auch in Deutschland. Die entscheidende Frage für mich bei der Bewertung eines jeden Menschen ist die Frage, ob er Antisemit ist oder nicht. Und hier habe ich in den vergangenen Tagen auch Solidarität von Muslimen gespürt.

epd: Öffentlich geworden ist davon wenig.

Schramm: Wir haben in Thüringen den Runden Tisch der Religionen. Der Vertreter der Schiiten hat mir noch am Morgen des 7. Oktober, am Tag des entsetzlichen Pogroms, seine Solidarität bekundet. Dafür bin ich persönlich dankbar. Aber es ist auch zu vermuten, dass die muslimischen Gemeinden öffentlich nicht so klar Position beziehen können, wie sie es vielleicht wollen. Die stärkste Solidarität erfuhren wir von der Jesidischen Gemeinschaft Thüringen und ihrem Vorsitzenden.

epd: Warum ist die Unterstützung so leise?

Schramm: Ich denke, die Vertreter der muslimischen Gemeinschaften müssen auf ihre Gemeinden Rücksicht nehmen. Zunächst einmal sind die Palästinenser ihre Glaubensbrüder. Sie sorgen sich um ihr Schicksal. Und auch ich fühle mit den unschuldigen Opfern der Hamas im Gaza-Streifen. Die Bevölkerung wird dort als Geiseln gehalten. Umgekehrt denke ich, dass viele Muslime auch mit uns fühlen. Aber wenn 20 Prozent Antisemiten sind, kann das in dieser Situation in einer muslimischen Gemeinde zu einer ernsthaften Zerreißprobe werden.

epd: Ist dieses Schweigen nicht eine Kapitulationserklärung gegenüber den Terroristen?

Schramm: Der islamische Antisemitismus und die Form, in der er in Deutschland öffentlich ausgelebt wird, sind furchterregend. Dagegen müssten Politik und Gesellschaft viel stärker vorgehen. Ich befürworte ausdrücklich, dass straffällige Antisemiten ohne deutsche Staatsbürgerschaft so schnell wie möglich ausgewiesen werden müssen. Da müssen die Verfahren deutlich verkürzt werden. Und auch Antisemiten mit deutschem Pass gehören schnellstmöglich bestraft. Das würde die öffentlich geäußerte Hetze zurückdrängen.

epd: Die Grundhaltung aber bliebe bestehen.

Schramm: Wissen Sie, wer in seinem arabischen Heimatland 30, 40 oder 45 Jahre lang die Feindschaft gegen Israel und die Juden eingeimpft bekommen hat, den ändern sie nicht mehr. Auch nicht, nachdem er nach Deutschland gekommen ist. Aber wir müssen diese Menschen daran hindern, ihren Antisemitismus öffentlich auszuleben. Und wir müssen uns mehr um die arabischstämmige Jugend in Deutschland kümmern.

epd: Inwiefern?

Schramm: Unsere Schulen stehen den antisemitischen Parolen junger Muslime doch weitgehend hilflos gegenüber. Kaum einer unserer Lehrer ist für solche Situationen und Diskussionen fachlich und pädagogisch geschult. Der Nahostkonflikt spielt im Unterricht an unseren Schulen doch kaum eine Rolle. Da ist in den vergangenen Jahrzehnten viel vernachlässigt worden. Nicht nur in Thüringen. Sondern deutschlandweit.

epd: Also mehr Lehrerfortbildungen? Oder doch besser Zuzugsbegrenzungen für Flüchtende?

Schramm: Ich bin dagegen, das Asylrecht auszuhöhlen. Das deutsche Asylrecht im Grundgesetz ist eine direkte Folge der Verfolgung der Juden im Dritten Reich. Hätte es ein solches Asylrecht weltweit während des Nationalsozialismus gegeben, wären unzählige unserer Leben gerettet worden. Aber wir müssen die Asylverfahren in Deutschland beschleunigen und Geflüchtete ohne Bleibeperspektive wieder konsequent zurückzuschicken. Deutschland läuft anderenfalls Gefahr, sich zu überfordern.