Bremer Friedensbeauftragter in Odessa: Tränen und Dankbarkeit

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges kommen viele Hilfslieferungen aus Deutschland in die Ukraine. Daran beteiligt sich auch ein Netzwerk in Bremen, das mit Transporten und Besuchen seine Solidarität zu den Soldaten und der Bevölkerung zeigt.

Bremen, Odessa (epd). Der Turm der evangelischen St.-Paul-Kirche im ukrainischen Odessa ragt hoch über die Dächer der Stadt. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges ist sie von Zerstörungen verschont geblieben, anders als die benachbarte orthodoxe Verklärungskathedrale. Der Bremer Andreas Hamburg kennt St. Paul gut, denn er war von 2009 bis 2014 der erste Pastor dieser Gemeinde nach dem Wiederaufbau der in den 1970er Jahren unter den Sowjets zerstörten Kirche. Nun war er wieder dort - und traf auf Dankbarkeit und Entschlossenheit.

Hamburg (50) ist in der Ukraine geboren. 1995 ist er nach Deutschland ausgewandert und war später als Pastor in Charkiw und Odessa tätig. Seit 2018 ist er Seelsorger der evangelischen Markusgemeinde in Bremen, außerdem Friedensbeauftragter der Bremischen Evangelischen Kirche. Seit Beginn des Kriegs hat er gemeinsam mit zahlreichen Partnern ein Ukraine-Solidaritäts-Netzwerk aufgebaut und viele Hilfslieferungen organisiert. Nun war er zum 220-jährigen Bestehen von St. Paul in der Hafenstadt Odessa.

In seinen Gesprächen habe er große Dankbarkeit für die Unterstützung aus Deutschland und aus Bremen erlebt, berichtet der Theologe nach seiner Rückkehr. „Mir wurden Dankes-Urkunden überreicht, die zeigen, was die konkrete Solidarität menschlich für die Sanitäter und Ärzte bedeutet. Es war sehr bewegend zu sehen, wie beim Verlesen der Urkunden gestandenen Soldaten die Tränen liefen.“

Die Gespräche mit den Medizinern und Sanitätern, die immer wieder in die Kampfgebiete an die Front fahren, gingen ihm unter die Haut. „Sie arbeiten bis zur Erschöpfung, kämpfen mit veraltetem Material oder müssen auf die nötigste Ausstattung verzichten, weil sie durch den russischen Raketenbeschuss zerstört wurde. Aber die ganze Bevölkerung ist fest entschlossen, den brutalen Angreifern die Stirn zu bieten. Die allgemeine Solidarität ist großartig und macht Hoffnung.“

Ein gerechter Friede könne nicht auf Kapitulation aufgebaut werden, meint Hamburg. Eine nur auf Kosten der Angegriffenen und Geschundenen formulierte Exit-Strategie will er nicht unterstützen. „Ich wünschte mir oft mehr Bescheidenheit von denen, die in den Medien nach diesem sogenannten 'Frieden' rufen. Das hat nichts mit eigenen Erfahrungen zu tun, nichts mit Leid, Vergebung oder Versöhnung. Frieden darf nicht auf Kosten der Anderen geschehen.“

Erst kürzlich hat Hamburg in einem Interview die Lieferung deutscher „Taurus“-Marschflugkörper an die Ukraine befürwortet, was ihm in Bremen viel Kritik einbrachte. „Aber zum Schutz des Landes würde ich die Taurus-Lieferung begrüßen - auch wenn ich weiß, dass man mit Waffen allein den Frieden nicht herstellen kann“, sagt der Friedensbeauftragte.

St. Paul ist die einzige Kirche in der Ukraine, die in die Nagelkreuzgemeinschaft von Coventry aufgenommen wurde. „Das ist ein wichtiges Zeichen, um die Friedens- und Versöhnungsarbeit im Land zu stärken“, sagt der Pastor, der beim Festgottesdienst zum Jubiläum die Predigt hielt. Darin hob er den besonderen Charakter der Friedenstheologie in der Coventry-Gemeinschaft hervor: „Sie fußt auf eigenen Erfahrungen. Das unterscheidet sie fundamental von einem Pazifismus, der aus den 1960er Jahren pathetisch und unreflektiert in die Gegenwart übertragen wird.“

Außerdem kam er nicht ohne leere Hände: Einer Sanitätseinheit des ukrainischen Militärs übergab er rund 1.000 Jogginghosen der Stiftung „Solidarität Ukraine“, die während der Genesung bei verwundeten Soldaten besonders gefragt sind. Regelmäßig werden aus Bremen unter anderem große Mengen an Kaffee, Thermounterwäsche oder Taschenlampen in die Ukraine geliefert. Gerade läuft wieder eine Spendenaktion mit dem Ziel, 15.000 Weihnachtsüberraschungen für ukrainische Kinder in das Kriegsgebiet zu schicken.