Armselige Meuterer

Frankfurt a.M./Berlin (epd). Es ist noch früh am Morgen am 13. März 1920, als Soldaten in Berlin auftauchen. "Hakenkreuz am Stahlhelm, schwarz-weiß-rotes Band, die Brigade Erhardt werden wir genannt", singen sie und marschieren auf das Regierungsviertel. Im Kapp-Lüttwitz-Putsch, auch bekannt als Kapp-Putsch, versuchen vor 100 Jahren rechtsextreme Kräfte, die noch junge Weimarer Republik zu beseitigen. Nach vier Tagen scheitert der Putsch.

Die Vorbereitungen hatten schon im Sommer 1919 begonnen. Mit ihm sollte die in rechten Kreisen verhasste Weimarer Reichsregierung verschwinden, und der genauso verhasste Versailler Vertrag gleich mit.

Laut Versailler Vertrag muss das deutsche Militär bis März 1920 auf 100.000 Heeres- und 15.000 Marinesoldaten reduziert werden. Nun stehen - auch wenn die Alliierten einen stufenweisen Abbau bis Ende des Jahres akzeptiert hatten - rund 300.000 Soldaten vor der Arbeitslosigkeit. Vor allem die irregulären Militärverbände, die Freikorps, murren. Sie sind meist ohnehin der Weimarer Regierung wenig zugetan, hatten 1919 aber für sie die kommunistischen Räterepubliken in München und Bremen zerschlagen.

Führender Kopf der Meuterei ist General Walther von Lüttwitz, der zuvor bereits den Spartakus-Aufstand niedergeworfen hat. Der Politiker Wolfgang Kapp, ein Rechtsradikaler und Antisemit, ist der Mann fürs Schaufenster, der als Zivilist den Charakter des Staatsstreichs als Militärputsch verschleiern soll. "Das zeigt die Armseligkeit dieses Putsches", urteilt der Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta. Nahezu niemand habe einen Kapp gekannt, und prominentere Köpfe hätten sich dafür nicht hergeben wollen.

Von Lüttwitz hatte am 10. März von Reichspräsident Friedrich Ebert und Wehrminister Gustav Noske (beide SPD) verlangt, die Freikorps nicht aufzulösen, sondern den Reichstag, und ihn selbst zum Oberbefehlshaber der Reichswehr zu ernennen. Die Reaktion ist kraftlos: Noske fordert von Lüttwitz auf, in den Ruhestand zu treten und beurlaubt ihn am folgenden Tag.

Aber da ist der Putsch schon durchgeplant. Die Marinebrigade II, die als erste für die Auflösung vorgesehen ist - die "Brigade Erhardt", wie sie nach ihrem Kommandeur genannt wird -, marschiert auf Berlin zu.

Die rasch versammelte Reichswehrführung druckst herum, mit Ausnahme des Chefs der Heeresleitung, Walther Reinhardt. Man habe im Raum Berlin nicht genug Soldaten, und überhaupt würden "Reichswehrtruppen niemals auf andere Reichswehrtruppen schießen", sagt General Hans von Seeckt. Im Klartext: Das Militär rührt zur Verteidigung der Weimarer Republik keinen Finger.

Die Regierung verlässt Berlin, die Putschisten besetzen am 13. März das Regierungsviertel. Sie rufen Kapp zum Reichskanzler und von Lüttwitz zum Chef der Reichswehr aus. Der Pressechef der Reichskanzlei, Ulrich Rauscher, veröffentlicht einen Aufruf zum Generalstreik: "Kein Proletarier darf der Militärdiktatur helfen! Generalstreik auf der ganzen Linie!".

Gewerkschafter und SPD-Anhänger folgen Rauschers Aufruf sofort. Die KPD zögert: Schließlich hat im Jahr davor die Regierung noch genau jene Freikorps auf die Kommunisten schießen lassen, gegen die sie nun Hilfe benötigt. Aber einen Tag später, am 14. März, treten auch die KPD-Anhänger in den Streik. 

"Sicherlich hat der Streik dazu beigetragen, die Putschisten zu isolieren", analysiert der Historiker Pyta. Für einen bedeutenderen Faktor hält er jedoch den Umstand, dass der Beamtenapparat sich weigert, die Anordnungen Kapps und von Lüttwitz' zu befolgen.

"Die Republik war im Verwaltungsapparat gar nicht so unbeliebt, wie man früher dachte", sagt auch Pytas Marburger Kollege Martin Göllnitz. "Die Beamten hatten gerade begonnen, sich in der Demokratie einzurichten und wollten das nicht für einen Militärputsch aufgeben." 

Die Meuterer haben kaum Rückhalt - weder in der Beamtenschaft, noch in der Bevölkerung oder in der Wirtschaftselite. Die Putschisten sitzen ohne Strom, Heizung, Telefon oder Strom in ihrem Amtsstuben, ihre Anweisungen laufen ins Leere. Am 17. März bleibt ihnen nichts anderes übrig, als aufzugeben. Lüttwitz flieht nach Ungarn, Kapp nach Schweden. "Die Lehre des Kapp-Putsches war, dass die Republik schon zu gefestigt war", sagt Historiker Pyta, "sie war aber auch, dass das Militär nicht ganz zuverlässig war."

Die juristische Strafe für die Putschisten fällt weitgehend aus. Die meisten der fast 1.500 Militär- und Zivilverfahren gegen Beteiligte des Putsches werden eingestellt. Allein der Innenminister der Putschisten, Traugott von Jagow, wird zur Mindeststrafe von fünf Jahren Festungshaft verurteilt. 

Die Justiz habe sehr viel mehr Angst vor der Gefahr von links als von rechts gehabt, erklärt der Wissenschaftler Göllnitz. Einige der Freikorps-Leute wendeten sich nun dem Terrorismus zu: Ihren Anschlägen fallen in den Folgejahren Politiker wie Matthias Erzberger (Zentrum) und Walther Rathenau (DDP) zum Opfer.